Tricks bei Geburtsschäden (Arzthaftung)
1)
Folgendes Buch ist zu empfehlen:Schneider / Husslein / Schneider, Die Geburtshilfe, Springer Verlag.2)
2)
Der typische und klassische Geburtsschadensfall kann wie folgt skizziert werden: Es liegen schwere Dezelerationen beim Föten vor und es unterbleibt die sofortige operative Geburtsbeendigung (Sectio, Saugglocke), jedenfalls muss die kindliche Sauerstoffversorgung mittels Blutgasanalyse dann überprüft werden.
-> In solchen Fällen sollte man immer den Befunderhebungsfehler herausarbeiten, denn darüber kommt man wegen der hierfür bestehenden Beweislastumkehrtatbestände „einfacher“ zur Beweislastumkehr als über das klassische Modell des „groben Behandlungsfehlers“.
3)
Stets muss nach dem Rechtsstreit die Verjährungsregel des § 197 II BGB beachtet werden: Soweit rechtskräftig festgestellte Ansprüche fällig werdende regelmäßig wiederkehrende Leistungen zum Inhalt haben, tritt an die Stelle der Verjährungsfrist von 30 Jahren die regelmäßige Verjährungsfrist.
4)
Beachte die sog. Tokolyse-Fälle:
= Verhinderung der Frühgeburt.
Es liegt die Indikation einer Cerclage (Zubinden des Muttermundes) oder einer medikamentösen Tokolyse, oder Sectio vor.
-> Über solche Behandlungsalternativen muss aufgeklärt werden.
-> Wird Mutter nicht aufgeklärt und wird eine sectio gemacht, steht Haftung im Raum. Mithin liegt eine Frühgeburt vor, deswegen kommt es später rglm. zu Komplikationen und zum Schaden.
-> Hätte eine Cerclage die Frühgeburt verhindert? Problem: Beim Aufklärungsfehler gibt es keine Beweislastumkehr.
5)
Beachte den sog. Entlassungsfall:
Bsp: Eine risikoschwangere Patientin wird entlassen, da sich die Klinik beim Geburtstermin um 6 Tage verrechnet hat. Zu Hause tritt der Notfall ein. Der Notarzt schafft den Transport in die Klinik nicht mehr. Kind kommt behindert zur Welt -> grober Behandlungsfehler, vollbeherrschbares Risiko?
6)
Zur Schmerzensgeldbemessung:
Immer alle Kriterien abprüfen und darlegen!
Achtung:
Noch nicht absehbare immaterielle Schäden im außergerichtlichen Bereich immer vorbehalten;
im gerichtlichen Bereich: „offene Teilklage“ (in der Klagebegründung so bezeichnen, am Besten BGH 20.01.04 - VI ZR 70/03 nennen) sowie eine Feststellungsklage, diese auch auf nicht absehbare immaterielle Schäden erstrecken (zum Zeitpunkt der Klageerhebung Feststellungsantrag: „… und zum Zeitpunkt der Einreichung der Klageschrift noch nicht eingetretenen oder sicheren immateriellen Schäden aufgrund…“)
7)
Schmerzensgeldrente
Bei der Berechnung immer bei Abzinsung beachten, dass heute maximal 1% abgezinst wird (dies macht beim Kapitalisierungsfaktor einen großen Unterschied!), denn 3% oder 5% sind nicht mehr zeitgemäß.
8)
Das LG Aachen urteilte mit Entscheidung vom 30.11.2011 mit Az. 11 O 478/09 nunmehr EUR 700.000,00 Schmerzensgeld für einen Schwerschaden aus.
9)
Erwerbsschäden (vorerst mit Feststeller sichern, OLG Köln, 19.05.88, 4 U 139/87).
Es besteht eine Beweiserleichterung für die Prognose (gewöhnlicher Lauf der Dinge oder besondere Umstände, die mit Wahrscheinlichkeit >50% zu erwarten sind) § 252 BGB, 287 ZPO, vgl. BGH 05.10.2010, VI ZR 1867/08.
Geltendmachung für die Vergangenheit in Kapital, für die Zukunft als Rente (§§ 843, 760 BGB), vgl. OLG Stuttgart, 25.11.1997, 14 U 20/97.
10)
Mehrbedarf:
= alle zusätzlichen Kosten für den Geschädigten
-> alle denkbaren Positionen auflisten und erwähnen (BGH, 20.01.2004, VI ZR 46/03)
-> v.a. sind die Kosten für Drittbetreuer wichtig! (Einzelfall- und Schulhelfer!)
-> Auch das Kind kann später einen Haushaltsführungsschaden haben.
11) Schulterdystokie
- Meist greift hier der Aufklärungsfehler bzgl. dieses Risikos,
- und auch bzgl. der Alternativen der Behandlung: Sectio statt natürliche Geburt.
- Schmerzensgeld: ca. EUR 60.000, OLG München, 08.07.10 - 1 U 4550/08
12) Ungewolltes Kind
Schmerzensgeld!
Unterhaltsschaden!
Erwerbsschaden Mutter!
13) Erwerbsschaden
- Brutto-/Nettomethode!
- auch Rentenausfallschaden!
- bei Selbständigen anhand einer Dreijahresprognose!
- beachte Anspruchsübergang auf SVT!
14) Komplikationen bei der Mutter
- beim Tod der Mutter sind die Schmerzensgelder immer noch viel zu niedrig: 7.500, EUR, LG Hamburg, 24.06.16, 303 O 173/14
- Nervenschaden der Mutter, wohl ähnlich wie bei OLG Köln 15.07.15 - 5 U 202/08: ca. 125.000,00
- Beerdigungskosten, ca. 6.000 bis 20.000,00, vgl. LG Hamburg, 24.06.2016, Az. 303 O 173/14
15) Haushaltsführungsschäden
- Schätzgrundlagen darlegen, ggf. unter Verwendung der Tabellen von Pardey.
- Begrenzung auf Zeit bis zum 75. Lebensjahr ist nicht mehr zeitgemäß, OLG Köln, 25.11.15, 5 U 73/14
- so gehts, vgl. gutes Urteil des Landgericht Dortmund, 4 O 230/13, 14.04.2016
- Der Stundensatz des Haushaltsführungsschaden kann unter Anwendung von § 287 ZPO der Entschädigungsnorm § 21 JVEG entnommen werden, LG Tübingen, 27.10.2015 - 5 O 155/14: nunmehr EUR 14,00 pro Stunde!
16) Unterhaltsschaden
Prüfe:
- Fällt ein Unterhaltspflichtiger schadensbedingt weg?
- Sonderfall: Haushaltsführungsschaden bei Tod der Mutter, da Mithilfe wegfällt, aber Anrechnung wegen reduziertem Haushalt“
17) Verjährung, § 199 BGB
- Höchstfrist für Schadensersatzansprüche: 30 Jahre.
- Beachte ab Urteil die 3 Jahresfrist ab Urteil bei wiederkehrenden Leistungen, § 197 BGB!
- Vorsicht wegen Kenntnis nach § 199 BGB genügt u.U. schon bei Gedächtnisprotokoll ggü. MDK (kann durch Zufall in die Hände des Gerichtes fallen!).
- Interne Gutachten (MDK, etc.) nicht schon immer im außergerichtlichen Bereich an Gegner senden (man offenbart sonst seine Taktik; der Gegner muss nicht wissen, woher man seine Argumente hat; denn auch die Haftpflichtversicherer offenbaren in der Regel nie ihre ärztlichen Stellungnahmen und Gutachten!);
- grds. sind solche Gutachten oft „gemischt“ positiv/negativ, dh diese einfach im Hintergrund einbehalten und die positiven Argumente hieraus verwenden.
Haftpflichtversicherer lassen sich von Privatgutachten ohnehin selten beeindrucken, denn es entscheidet sowieso deren „Beratungsarzt“.
- Verjährungsverzicht des Haftpflichtversicherers einholen!, gilt immer für Klinik / Praxis und alle mitversicherten Personen.
Patientenanwalt RA Michael Graf
Fachanwalt für Medizinrecht und Versicherungsrecht
für Freiburg, Karlsruhe & bundesweit