Gutachtenauftrag:
Zu prüfen ist, ob die Millimeterwellentherapie (MWT) unter die medizinische Aufklärungspflicht des § 630f BGB fällt und daher der Patient laut geltender Rechtsordnung nach ausreichender Aufklärung zunächst ausdrücklich einwilligen muss, bevor er den Millimeterwellenstrahlen ausgesetzt werden darf.
1) Medizinischer Ausgangspunkt
Bei Millimeterwellen handelt es sich um elektromagnetische Wellen mit Frequenzen von 30 GHz bis 300 GHz und korrespondierenden Wellenlängen von 1 mm bis 1 cm (f = c / λ). Unter Millimeterwellentherapie (MWT) versteht man die Exposition von Körperregionen gegenüber Millimeterwellen zu medizinischen Zwecken. Millimeterwellen (MMWs) werden meist innerhalb von 1 bis 2 Millimetern der menschlichen Haut und in den Oberflächenschichten der Hornhaut absorbiert. Somit sind die Haut oder oberflächennahen Zonen von Geweben die Hauptziele der Strahlung.
Da die Haut Kapillaren und Nervenenden enthält, können MMW-Bioeffekte durch molekulare Mechanismen von der Haut oder vom Nervensystem übertragen werden.
Thermische (oder Erwärmungs-) Effekte treten laut Moskowitz auf, wenn die Leistungsdichte der Wellen über 5–10 mW / cm (hoch 2) liegt. Solche hochintensiven MMW wirken dosisabhängig auf die menschliche Haut und die Hornhaut - beginnend mit einem Wärmegefühl, gefolgt von Schmerzen und körperlichen Schäden bei höheren Expositionen.
Eine Temperaturerhöhung kann - so Moskowitz - das Wachstum, die Morphologie und den Stoffwechsel von Zellen beeinflussen, die Produktion freier Radikale induzieren und die DNA schädigen.
Die Ergebnisse variieren je nach Studie. Es wurde von Moskowitz gezeigt, dass MMWs den Zelltod induzieren oder hemmen und die Zellproliferation verstärken oder unterdrücken. Einige Studien fanden heraus, dass die Strahlung das Fortschreiten des Zellzyklus hemmt (Le Drean et al., 2013).
Jedenfalls dürfte laut zahlreichen Studien feststehen, dass durch den Einsatz von Millimeterwellentherapie durchaus massive Gesundheitsrisiken einhergehen.
So empfiehlt auch Edinger in seiner Dissertation zum Thema Millimeterwellentherapie zur Schmerzlinderung, dass eine Patientenaufklärung zu erfolgen hat: "Ich wurde von dem unterzeichnenden Arzt über Art, Ziel und Ablauf der Millimeterwellentherapie (MWT) und die zu erwartenden Wirkungen und Risiken (s. Patienteninformation zu Behandlung der postoperativen Schmerzen mit MWT, Anhang B) aufgeklärt und die habe spezielle Patienteninformation gelesen und verstanden."
2) Rechtliche Würdigung
Nach § 630d BGB ist vor Durchführung einer medizinischen Maßnahme, insbesondere eines Eingriffs in den Körper oder die Gesundheit, der Behandelnde verpflichtet, die Einwilligung des Patienten einzuholen.
Laut § 630e BGB ist der Behandelnde verpflichtet, den Patienten über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären. Dazu gehören insbesondere Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie.
Die Risikoaufklärung schützt als Element der Selbstbestimmungsaufklärung das körperbezogene Selbstbestimmungsrecht des Patienten. Sie ist wesentliche Voraussetzung für die Einwilligung des Patienten in die Behandlung, auf die sich der Arzt zur Rechtfertigung seiner nach der Rechtsprechung tatbestandsmäßigen Körper- und Gesundheitsverletzung regelmäßig beruft. Der Patient kann einer Behandlung nur wirksam zustimmen, wenn er sowohl über Art, Umfang und Durchführung der Behandlung unterrichtet ist (Verlaufsaufklärung) als auch weiß, welche Gefahren er mit der Behandlung auf sich nimmt (Risikoaufklärung), vgl. (Schramm VersR 1991, 284).
Aufklärungspflichtig sind danach die typischen Gefahren einer Behandlung, also Gefahren, "die mit ihr verbunden zu sein pflegen und mit deren Eintreten nach dem Stande ärztlicher Erfahrung und Wissenschaft gerechnet werden muß". Dabei steht die Gefahrentypizität bei der Beurteilung der Aufklärungsbedürftigkeit eines Risikos gegenüber der Komplikationsdichte im Vordergrund. Auch über seltene Gefahren ist aufzuklären, die für die gewählte Behandlung typisch sind und im Falle ihrer Verwirklichung die Lebensführung des Patienten schwer belasten, zumal wenn sie für den Patienten überraschend erscheinen. Dazu kann insbesondere auch das Risiko einer Armplexuslähmung als Folge einer Bestrahlung gehören (Schramm VersR 1991, 284).
Auch die Behandlung mit Strahlen in therapeutisch wirksamer Dosis stellt einen erheblichen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit dar, daher ist auch hier eine wirksame Einwilligung der Patienten für diese Eingriffe stets rechtlich notwendig (BGH NJW 1998, 1802).
Zu Schäden nach Strahlentherapie befassten sich auch das OLG München (1. Zivilsenat), Urteil vom 28.02.2013 - 1 U 3933/10 und das OLG Oldenburg (Oldenburg), Urteil vom 08.01.1991 – 5 U 80/90. Siehe hierzu auch BGH NJW 1992, 754: Bei der Strahlentherapie sind entzündliche Reaktionen aufklärungsbedürftig.
Stets muss laut Spickhoff bei einer Strahlentherapie im Bereich der Kopf-Hals-Region nicht nur auf die Möglichkeit einer Schädigung der Knochen (Osteoradionekrose), sondern auch auf die Gefahr von Paresen – ua einer Querschnittslähmung – hingewiesen werden, da Lähmungen nicht nur als Folge einer Knochennekrose auftreten, sondern – und dies sogar in erster Linie – unmittelbare Strahlenfolge in Form einer Strahlenmyelopathie sein können (Spickhoff/Knauer/Brose, 3. Aufl. 2018, StGB § 223 Rn. 37).
3) Ergebnis
Im Ergebnis steht fest, dass die Millimeterwellentherapie (MWT) unter die medizinische Aufklärungspflicht des § 630f BGB fällt und daher der Patient laut geltender Rechtsordnung nach ausreichender Aufklärung zunächst ausdrücklich einwilligen muss, bevor er den Millimeterwellenstrahlen ausgesetzt werden darf.
4) Fundstellen und Nachweise
Joel M. Moskowitz, Ph.D. , Zentrum für Familien- und Gemeindegesundheit, School of Public Health, Universität von Kalifornien, Berkeley: https://www.saferemr.com/search?q=millimeter+waves
Hardy Edinger, Dissertation aus der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin (Direktor: Univ.- Prof. Dr. M. Wendt)
der Medizinischen Fakultät der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald: "Millimeterwellentherapie (MWT) zur postoperativen Schmerzbehandlung bei Patienten nach Implantation einer Knie-Totalendoprothese- eine randomisierte kontrollierte Studie": https://epub.ub.uni-greifswald.de/frontdoor/deliver/index/docId/600/file/diss_edinger_hardy.pdf
Vgl. auch: https://iq-well.net/studien
Für weitere Fragen zum Thema stehen Ihnen unsere Patientenanwälte sehr gerne mit Rat zur Seite. Es grüßt Sie herzlich...
… Ihr Michael Graf, Fachanwalt für Medizinrecht und Versicherungsrecht