Zum Einsatz eines Praktikanten in der Arztpraxis
Der Annahme eines groben Fehlers steht nicht entgegen, dass es sich bei dem Praxismitarbeiter bloß um einen Berufspraktikanten gehandelt hat. Denn für die Bewertung eines Behandlungsfehlers sind nicht die Kenntnisse eines Praktikanten, sondern die einer standardgemäß ausgebildeten Fachkraft - hier einer MTRA - zugrunde zu legen.
Problemstellung
Die sehr lesenswerte Entscheidung des LG Dortmund 4. Zivilkammer, Urteil vom 9. Dezember 2020, Az. 4 O 12/19 wirft zur Fallgruppe der Organisation und Anwendung von MRT-Diagnostik in der Arztpraxis eine Reihe von prozessualen und materiell-rechtlichen Besonderheiten und Fragen zum Arzthaftungsrecht auf, die hier näher untersucht werden sollen.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Vorliegend geht es um medizinrechtliche Haftungsfragen aufgrund einer ambulanten MRT-Untersuchung. Über das Risiko von Frakturverletzungen wurde während des Aufklärungsgesprächs unstreitig nicht gesprochen. Nach Abschluss der MRT-Untersuchung leitete der Praktikant der Praxis das Herausfahren der Liege ein. Dabei verkeilte sich der linke Arm des Klägers im Gerät, worauf der Kläger mit Rufen und Schreien auf sich aufmerksam machte. Der Arm des Klägers wurde nach hinten durchgezogen, wobei es unstreitig zu einer Verletzung des Klägers in Form einer Querfraktur im oberen Teil des Oberarmknochens (Humerus) links mit Absprengung eines Fragmentes kam.
Kontext der Entscheidung
1.
Der Kläger verwendete im Verfahren LG Dortmund (Az. 4 O 12/19) in seinen Klageanträgen teilweise missverständliche Formulierungen.
Zu begrüßen ist, dass das LG Dortmund (Az. 4 O 12/19) die Klageanträge des geschädigten Patienten in analoger Anwendung der §§ 133, 157 BGB so auslegt, wie diese (unter Berücksichtigung der Interessen des geschädigten Patienten) zu verstehen sind. Denn Prozesserklärungen sind stets so auszulegen, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht (BGH NJW 1992, 243; BGH, NJW 1994, 1537 [1538]; BGH NJW-RR 1998, 1005).
Vor dem Hintergrund des § 139 ZPO und der richterlichen Auslegungskompetenz sind formal fehlerhafte Zivilanträge zwar eigentlich unschädlich, da das Gericht auf etwaige Fehler hinzuweisen bzw. auf fehlerfreie Anträge hinzuwirken hat und notfalls sogar durch Auslegung eine etwaige „Unwucht“ im Klageantrag „begradigen“ kann. Allerdings dürfte es für die Außenwirkung auf Gericht und Mandant förderlich sein, von Anfang an die richtigen Anträge zu stellen und typische Fehler zu vermeiden (vgl. hierzu Kaiser NJW 2017, 1223).
Immer wieder vergessen Schmerzensgeldkläger außerdem den Blick in die Zukunft, also den zusätzlichen Antrag etwa dergestalt, „… festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche immateriellen Schäden zu ersetzen, soweit diese nach dem … aus dem Unfallereignis vom … auf der …-Straße in … künftig entstehen und nicht auf Sozialversicherungsträger oder Dritte übergehen (werden) oder übergegangen sind“ (vgl. hierzu Kaiser NJW 2017, 1223). Zu achten ist insbesondere auch darauf, dass nicht nur Ansprüche ausgeschlossen sein sollen, die bereits auf Sozialversicherungsträger (§ 116 Abs. 1 SGB X) oder Dritte (§ 86 Abs. 1 VVG) übergegangen sind, sondern auch Ansprüche, die erst künftig übergehen werden.
Zulässig war auch die Entscheidung des LG Dortmund (Az. 4 O 12/19) mittels Grundurteil. Ein Teilurteil ist nach § 301 Abs.1 ZPO zulässig (und nach dem gesetzgeberischen Willen sogar regelmäßig zu erlassen), wenn von mehreren in einer Klage geltend gemachten Ansprüchen nur einer (bzw. einzelne) oder nur ein Teil eines Anspruchs zur Endentscheidung reif ist. Im letzteren Fall muss allerdings zugleich ein Grundurteil (§ 304 ZPO) über den restlichen Teil des Anspruchs ergehen (§ 301 Abs. 1 S. 2 ZPO). Unzulässig ist ein Grund- und Teilurteil nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung (grundlegend BGHZ 107, 236, 242 m.w.N.) nur, wenn hinsichtlich des verbliebenen Teils die Möglichkeit einer widersprüchlichen Entscheidung nicht auszuschließen ist. Daraus folgt etwa für den im Arzthaftungsrecht typischen und auch vorliegend gegebenen Fall, dass bei einer objektiven Klagehäufung von Leistungsanträgen (Schmerzensgeld und bezifferter Schaden) und Feststellungsanträgen (unbezifferter weiterer materieller und immaterieller Schaden), denen ein einheitlicher Haftungsgrund zugrunde liegt, eine Zwischenentscheidung nur möglich ist, wenn - wie im vorliegenden Fall - über den Grund umfassend entschieden wird und nur noch Fragen zur Schadenshöhe offen sind. Demnach muss über einen Feststellungsantrag, der stets eine Entscheidung über den Haftungsgrund beinhaltet, immer entschieden werden; ein noch zur Entscheidung offener Feststellungsantrag macht ein Grund- und Teilurteil unzulässig. Unbedenklich ist hingegen eine Entscheidung über den bezifferten Leistungsantrag nur dem Grunde nach in Verbindung mit einer endgültigen Entscheidung über den Feststellungsantrag. Hier stehen lediglich Entscheidungen über die Höhe des bezifferten Antrags aus. Die Gefahr einer widersprüchlichen Entscheidung besteht nicht (vgl. OLG Köln, Beschl. v. 3.9.2009 - 5 U 47/09, BeckRS 2010, 13644).
2.
Nicht gefolgt werden kann dem LG Dortmund (Az. 4 O 12/19) aber bei seiner Bewertung der Frage nach einem Aufklärungsfehler (es verneinte ein Aufklärungsverschulden), denn der Patient hätte vorliegend zeitgerecht und umfassend über Chancen und Risiken (auch bzgl. der Frakturrisiken) der MRT-Untersuchung aufgeklärt werden müssen.
Über das Risiko von Frakturverletzungen wurde während des Aufklärungsgesprächs am 17.04.2018 nämlich unstreitig nicht gesprochen. Nach Abschluss der MRT-Untersuchung am 17.04.2018 leitete der Zeuge, der - wie bereits dargelegt - zum Zeitpunkt des Vorfalls ein berufsvorbereitendes Praktikum bei der Beklagten absolvierte, das Herausfahren der Liege ein. Dabei verkeilte sich der linke Arm des Klägers im Gerät, worauf der Kläger mit Rufen und Schreien auf sich aufmerksam machte. Die Klingel betätigte der Kläger nicht. Der Arm des Klägers wurde nach hinten durchgezogen, wobei es unstreitig zu einer Verletzung des Klägers in Form einer Querfraktur im oberen Teil des Oberarmknochens (Humerus) links mit Absprengung eines Fragmentes kam.
Hier hätte über das (wenn auch sehr seltene) Risiko von Frakturverletzungen im Aufklärungsgespräch gesprochen werden müssen.
Entscheidend für die ärztliche Hinweispflicht ist nämlich nicht ein bestimmter Grad der Risikodichte, insbesondere nicht eine bestimmte Statistik. Maßgebend ist vielmehr, ob das betreffende Risiko dem Eingriff spezifisch anhaftet und es bei seiner Verwirklichung die Lebensführung des Patienten besonders belastet. Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen ist grds. auch über äußerst seltene Risiken aufzuklären (vgl. BGH NJW 2000, 1784 m.w.N.; Greiner in Spickhoff, Medizinrecht, 3. Aufl. 2018, BGB §§ 823-839, § 823 Rn. 234; Katzenmeier in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 8. Aufl. 2021, V. Aufklärungspflicht und Einwilligung, Rn. 31).
Der Sachverständige hat unter Bezugnahme auf eine Publikation aus dem Jahr 2019 ausgeführt, dass von 1.500 gemeldeten Zwischenfällen 11 % auf mechanische Ereignisse zurückzuführen gewesen seien, im einstelligen Bereich sei es zu Quetschungen gekommen und in 7 bis 8 Fällen zu Frakturen oder Quetschungen.
Hier hätte es im vorliegenden Fall daher wenigstens der Verdeutlichung der Stoßrichtung der in Betracht kommenden Risiken nach Quetschungen oder Frakturen bedurft, etwa der Hinweis auf Frakturen (vgl. Greiner in Spickhoff, aaO, BGB §§ 823-839, § 823 Rn. 234); es geht darum, dem Patienten ein allgemeines Bild von der Schwere und Richtung des Risikospektrums zu vermitteln (vgl. Frahm/Walter, Arzthaftungsrecht, 6. Aufl. 2018, Rn. 196).
Nicht aufklärungsbedürftig sind in der Regel lediglich allgemeine Operationsrisiken, wie sie jedem operativen Eingriff typischerweise anhaften und von deren allgemeiner Kenntnis der Arzt ausgehen darf, wie etwa ein allgemeines Infektionsrisiko oder Risiken, die nach der Art und Weise der beabsichtigten Operationen und der hierzu erfolgten Aufklärung als bekannt vorausgesetzt werden können (vgl. Greiner in Spickhoff, aaO, BGB §§ 823-839, § 823 Rn. 235; Frahm/Walter, Arzthaftungsrecht, aaO, Rn. 203). Hiervon kann im vorliegenden Fall jedoch nicht (!) die Rede sein, denn die Verletzung des Klägers in Form einer Querfraktur im oberen Teil des Oberarmknochens (Humerus) links mit Absprengung eines Fragmentes fällt gerade nicht unter sog. lediglich allgemeine Operationsrisiken.
Zudem darf hier auch die Rechtzeitig der Aufklärung zum MRT-Diagnoseeingriff hinterfragt werden: Der BGH geht davon aus, dass der Patient so rechtzeitig vor dem beabsichtigten Eingriff aufgeklärt werden muss, dass er durch hinreichende Abwägung der für und gegen den Eingriff sprechenden Gründe seine Entscheidungsfreiheit und damit sein Selbstbestimmungsrecht in angemessener Weise wahren kann (vgl. § 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB; BGH NJW 2010, 2430; 2007, 217; 2003, 2012; VersR 1998, 767; 1995, 1055; 1994, 1235; 1992, 960). Es hängt die Wirksamkeit einer hierauf erfolgten Einwilligung davon ab, ob unter den jeweils gegebenen Umständen der Patient noch ausreichend Gelegenheit hat, sich innerlich frei („wohlüberlegt“) zu entscheiden. Hingegen reicht es bei normalen ambulanten und diagnostischen Eingriffen in aller Regel zwar aus, wenn die Aufklärung am Tag des Eingriffs erfolgt. Auch in solchen Fällen muss jedoch dem Patienten bei der Aufklärung über die Art des Eingriffs und seine Risiken verdeutlicht werden, dass ihm eine eigenständige Entscheidung darüber, ob er den Eingriff durchführen lassen will, überlassen bleibt. Bei Aufklärung am Vorabend wird ein Patient in der Regel mit der Verarbeitung der ihm mitgeteilten Fakten und der von ihm zu treffenden Entscheidung überfordert sein, wenn er - für ihn überraschend - erstmals aus dem späten Aufklärungsgespräch von gravierenden Risiken des Eingriffs erfährt, die seine persönliche zukünftige Lebensführung entscheidend beeinträchtigen können (vgl. Greiner in Spickhoff, aaO, BGB §§ 823-839, § 823 Rn. 280; Katzenmeier in Laufs/Katzenmeier/Lipp, aaO, V. Aufklärungspflicht und Einwilligung, Rn. 59 ff.).
3.
Auch die Schlussfolgerung des LG Dortmund (Az. 4 O 12/19), dass der Beklagten kein Organisationsverschulden anzulasten sei, kann so nicht gefolgt werden. Denn das MRT-Gerät wurde hier unstreitig von einem unerfahrenen Praktikanten bedient, der unstreitig erst „neun bis zehn Wochen bei der Beklagten als Praktikant tätig war. Das Herausfahren der MRT-Liege habe er auch (…) machen dürfen."
a.
Allein aufgrund der Zeugenaussagen des Praktikanten und der Helferin („Denn der Zeuge C1 hat ausgesagt, dass er bereits neun bis zehn Wochen bei der Beklagten als Praktikant tätig war. Das Herausfahren der MRT-Liege habe er auch schon seit Längerem machen dürfen. Die Zeugin B2 hat ausgesagt, dass der Zeuge C1 bereits einige Aufgaben eigenständig habe übernehmen dürfen. Sie habe ihn in die Bedienung eingewiesen, ihm die Funktionen der Knöpfe erklärt und wie die Liege angehalten werden kann.“) verbietet sich freilich die richterliche Zurückweisung des Vorwurfs eines Organisationsverschuldens.
Hier hätte das Gericht zwingend (!) den Sachverständigen dazu befragen müssen, welche Qualifikation für das Bedienen eines MRT-Geräts von Nöten ist (v.a. mit Blick auf den im Tatbestand genannten konkreten Parteivortrag: „Überdies sei das MRT-Gerät nach Abschluss der Untersuchung ohne ausreichende Kontrolle bedient worden. Aufgrund mangelnder Sorgfalt und Aufmerksamkeit sei sein Arm verkeilt und dies nicht rechtzeitig bemerkt worden. Erst nachdem er die Räumlichkeiten vor Schmerzen zusammengeschrien habe, habe sich eine panische Situation der Mitarbeiter eingestellt. Insbesondere habe der Mitarbeiter, der das Herausfahren veranlasst habe, während des Vorgangs nicht neben dem Schlitten gestanden, sodass er nicht habe beobachten können, was in der Röhre passiert sei. Zu dem Schluss, dass in der Nähe des MRT-Geräts keiner gestanden habe, sei er deshalb gekommen, weil an dem "Helm" ein Spiegel dran sei und er dort niemanden habe stehen sehen. Auch auf sein Schreien habe der Mitarbeiter viel zu spät reagiert. Als der Schlitten gestoppt worden sei, sei der Arm bereits über den Kopf hinweggezogen und bereits gebrochen gewesen. Auch die Mitarbeiter im Kontrollraum hätten nicht reagiert, was die Annahme rechtfertige, dass zum Unfallzeitpunkt niemand im Kontrollraum gewesen sei.“).
Denn der Richter darf den medizinischen Standard grundsätzlich nicht ohne eine entsprechende Grundlage in einem Sachverständigengutachten oder gar entgegen den Ausführungen des Sachverständigen aus eigener Beurteilung heraus festlegen (vgl. BGH NJW 2021, 1536, beck-online).
Die allgemeine Organisationspflicht verlangt vom Behandlungsträger zudem die sachgerechte Auswahl, Anweisung und Überwachung der nachgeordneten nichtärztlichen Mitarbeiter mit klaren und eindeutigen Regelungen hinsichtlich ihres Dienst- und Verantwortungsbereichs (vgl. Greiner in Spickhoff, aaO, BGB §§ 823-839, § 823 Rn. 32; Kern/Rehborn in Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB, 5. Aufl. 2019, § 100 Organisationspflichten Rn. 33 ff.; Frahm/Walter, aaO, Rn. 97).
Im vorliegenden Fall wurde unstreitig ein „blutiger“ Anfänger (Praktikant) zur Bedienung des MRT-Geräts eingesetzt.
Eine ordnungsgemäße Überwachung fehlte im vorliegenden Fall. An die Leitung (Weisungen) und die Überwachung (Kontrolle) des nachgeordneten ärztlichen und nichtärztlichen Personals werden aber sehr strenge Anforderungen gestellt (vgl. BGH NJW 1984, 1403, 1404; Greiner in Spickhoff, aaO, BGB §§ 823-839, § 823 Rn. 34; Kern/Rehborn in Laufs/Kern/Rehborn, aaO, § 100 Organisationspflichten Rn. 33 ff., beck-online). Die Darlegung ausreichender Überwachung obliegt der Behandlungsseite (vgl. OLG Oldenburg, VersR 1999, 461; Greiner in Spickhoff, aaO, BGB §§ 823-839, § 823 Rn. 34).
b.
Hier hätte vom Gericht auch § 630h Abs. 4 BGB geprüft werden müssen („War ein Behandelnder für die von ihm vorgenommene Behandlung nicht befähigt, wird vermutet, dass die mangelnde Befähigung für den Eintritt der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit ursächlich war.").
§ 630h Abs. 4 BGB enthält nunmehr eine Kausalitätsvermutung, die über die bisher von der Rechtsprechung entwickelten Regeln (vgl. BGH NJW 1998, 2737; 1993, 2991; 1992, 1561; 1984, 656; OLG Schleswig, NJW 1997, 3098; OLG Zweibrücken, VersR 1988, 165) hinausgeht und die auch im Deliktsrecht Anwendung finden wird (vgl. Greiner in Spickhoff, aaO, BGB §§ 823-839, § 823 Rn. 165; Katzenmeier in Laufs/Katzenmeier/Lipp, aaO, XI. Passivlegitimation und Beweisrecht, Rn. 131 ff.).
c.
Zudem hätte das Gericht den Beweislastumkehrtatbestand § 630h Abs. 1 BGB im Blick behalten müssen („Ein Fehler des Behandelnden wird vermutet, wenn sich ein allgemeines Behandlungsrisiko verwirklicht hat, das für den Behandelnden voll beherrschbar war und das zur Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit des Patienten geführt hat.").
Denn der Behandlungsseite erwächst aus der Pflicht zu gehöriger Organisation und Koordinierung des Behandlungsablaufs die Gewährleistung genereller Sicherheits-Standards der Behandlung gegen bekannte Risiken. Deren volle Vermeidung muss und kann von der Behandlungsseite gefordert werden. Zum einen ist dies zur Gefahr- und Schutzvorsorge des Patienten notwendig; zum anderen sind derartige Risiken und damit die Vorsorge durch sachgerechte Maßnahmen der Organisation und Koordinierung des Behandlungsträgers voll beherrschbar (vgl. OLG Zweibrücken, NJW-RR 2009, 1111).
Steht - wie hier - fest, dass der Primärschaden des Patienten im Gefahrbereich eines solchen sog. voll beherrschbaren Risikos gesetzt worden ist, folgen hieraus Beweiserleichterungen für den Patienten. Sie betreffen die Ebene des Beweises der objektiven Fehlverrichtung (Fehlervermutung) und des Verschuldens (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB analog) (vgl. Greiner in Spickhoff, aaO, BGB §§ 823-839, § 823 Rn. 161 f.; Katzenmeier in Laufs/Katzenmeier/Lipp, aaO, XI. Passivlegitimation und Beweisrecht, Rn. 123 ff.).
d.
Das LG Dortmund (Az. 4 O 12/19) stellt hierzu sogar selbst im Urteil fest: „Der Annahme eines groben Fehlers steht auch nicht entgegen, dass es sich bei dem Zeugen um einen Berufspraktikanten gehandelt hat. Denn für die Bewertung eines Behandlungsfehlers sind nicht die Kenntnisse eines Praktikanten, sondern die einer standardgemäß ausgebildeten Fachkraft - hier einer MTRA - zugrunde zu legen", so dass sich auch daher die Frage aufdrängt, weshalb ein Organisationsverschulden vom LG Dortmund (Az. 4 O 12/19) verneint wurde.
4.
Zutreffend kommt das LG Dortmund (Az. 4 O 12/19) nach Anhörung des Sachverständigen jedoch dann zum Ergebnis, dass den Beklagten ein grober Behandlungsfehler bei dem Herausfahren des Klägers aus dem MRT-Gerät nach Abschluss der Untersuchung anzulasten sei, da sich der Zeuge trotz der Schreie und Rufe des Klägers vom MRT-Gerät entfernt hat, ohne zuvor das Herausfahren der MRT-Liege zu stoppen. Auch wenn das MRT keinen separaten Notschalter hatte, war ein Knopf vorhanden, um die Liege zum Stoppen zu bringen. Es wäre - so auch der Sachverständige - ein Leichtes gewesen, den Schalter zu betätigen.
5.
Zutreffend verneint das LG Dortmund (Az. 4 O 12/19) das von der Beklagten behauptete Mitverschulden. Die Haftung des Arztes kann sich zwar im Einzelfall mindern oder ganz entfallen, wenn den Patienten an der Entstehung oder am Umfang des Schadens ein Mitverschulden trifft. Ein solches Mitverschulden liegt nur vor, wenn der Patient diejenige Sorgfalt außer acht gelassen hat, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt (vgl. BGH MDR 1997, 353; Kern/Rehborn in Laufs/Kern/Rehborn, aaO, § 94 Schadensumfang Rn. 18, beck-online). Ist ein Arzt wegen eines Behandlungsfehlers zum Schadensersatz verpflichtet, ist es ihm daher zwar nicht grundsätzlich verwehrt, sich auf ein Mitverschulden des Patienten zu berufen. Bei der Bejahung mitverschuldensbegründender Obliegenheitsverletzungen des Patienten ist allerdings Zurückhaltung geboten (vgl. BGH NJW 1997, 1635; OLG Braunschweig, NJOZ 2020, 498). Zur Schadensteilung zwischen Arzt und Patient kommt es nur dann, wenn das Mitverschulden des Patienten mitursächlich für den eingetretenen Schaden ist und diese Mitursächlichkeit vom Arzt bewiesen werden kann (ausführlich: Nußstein, VersR 2020, 1294).
Auswirkungen für die Praxis
Das Urteil des LG Dortmund (Az. 4 O 12/19) dürfte insbesondere für die Planung der Betriebsabläufe in radiologischen Praxen, aber auch generell für die Delegation im radiologischen Klinikalltag, relevant sein.
Insbesondere sollten Radiologen und radiologische Abteilungen gewährleisten, dass Patienten (am besten schriftlich und mündlich) immer auch über seltene schwerwiegende Risiken einer MRT-Behandlung zeitgerecht und inhaltlich ausreichend aufgeklärt werden.
Zum anderen verbietet sich dort freilich der Einsatz von Anfängern (insbesondere von Praktikanten), jedenfalls ohne Beisein von fachlich versierten Aufsichtspersonen. Derjenige, der Hilfspersonen einsetzt, hat umfangreiche Auswahl-, Instruktions- und Überwachungspflichten. Hierdurch sollen Situationen vermieden werden, in denen die Behandlungsperson nicht in der Lage ist, die ihr übertragene Aufgabe auf Facharztniveau zu erfüllen. Der ihm nachgeordnetes Personal einsetzende Arzt muss dieses daher sorgsam auswählen und instruieren sowie regelmäßig kontrollieren und überwachen. Zum Kernbereich ärztlichen Handelns gehören Tätigkeiten, die spezifisch ärztliches Fachwissen erfordern; insbesondere dürfen daher Behandlungen und auch die Bedienung von Geräten nicht an Assistenzpersonal delegiert werden, die mit solchen Risiken verbunden sind, die nur aufgrund ärztlichen Fachwissens beherrschbar sind. Welche Leistungen delegationsfähig sind, bestimmt sich nach ihrer Komplikationsdichte, insbesondere nach dem von ihnen ausgehenden Risiko für den Patienten (Knauer/Brose in Spickhoff, aaO, StGB § 222 Rn. 51 f.).
Auch für den eingesetzten Praktikanten ist die deliktische Haftungslage hier nicht ganz unproblematisch. Eine Strafbarkeit des Angewiesenen steht nämlich im Raum, wenn er durch voreiliges Handeln einer ihm erteilten Anweisung der ärztlichen Leitung zuwider handelt, er pflichtwidrig eine gebotene Remonstration unterlässt oder ihm ein Übernahmeverschulden vorgehalten werden kann (vgl. OLG Zweibrücken, NJW-RR 1999, 611 f.). Im Fall der Delegation einer Maßnahme zur eigenverantwortlichen Ausführung hat der mit der Vornahme des Eingriffs Beauftragte die Verantwortung für die kunstgerechte Durchführung. Er muss selbstkritisch prüfen, ob er den Auftrag nach seinen Kenntnissen und Fertigkeiten ausführen kann. Bedenken muss er mitteilen und notfalls den Auftrag ablehnen (vgl. Knauer/Brose in Spickhoff, aaO, StGB § 222 Rn. 53; Frahm/Walter, aaO, Rn. 95).