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Die Prozessvorbereitung im Arzthaftungsrecht

Prozessvorbereitung des Patientenanwalts – der Weg vom ersten Beratungsgespräch bis zur Prozesseinleitung

Gerade in Arzthaftungsfällen hört man von Kollegen und Mandanten immer wieder mal Redewendungen wie „Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand“ oder „Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus“. Vermutlich beinhalten solch alte Sprichworte meist einen gewissen Kern an Wahrheit. Mit Sicherheit wird man aber sagen können, dass gerade im Arzthaftungsrecht eine gute anwaltliche Prozessvorbereitung für eine erfolgreiche Anspruchsdurchsetzung unabdingbar ist. Beginnend mit dem Beratungsgespräch bis zur Wahl der späteren Verfahrensart geben die Verfasser Hinweise und Tipps für Rechtsanwälte, die (auch) im Patientenrecht die Anspruchstellerseite beraten und vertreten.

 

I.      Erstes Beratungsgespräch im Arzthaftungsmandat

 

Der Patientenanwalt wird im Rahmen des ersten Beratungsgesprächs die Schilderungen des Mandanten danach filtern, was davon für den Schadensersatzanspruch tatsächlich relevant ist und versuchen, die Schilderungen des Mandanten auf das Wesentliche zu führen und zu fokussieren. Dabei ist zu sehen, dass Mandanten aufgrund ihres rechtlichen Laienverständnisses meist geneigt sind, vom (meist sehr tragischen und emotionalen) Schaden per se auf eine ärztliche kausale Pflichtverletzung, d.h. einen Behandlungs- und/oder Aufklärungsfehler, zu schließen.

 

Ferner sind bereits im Rahmen des Erstgesprächs mit dem Mandanten wichtige Vorfragen anwaltlich zu prüfen. So ist anwaltlich zu erfragen, ob (und falls ja, seit wann) der Mandant rechtsschutzversichert ist und ob der Rechtsschutzfall im versicherten Zeitraum liegt sowie beim Versicherer bereits bedingungsgemäß gemeldet wurde und ob der Mandant gesetzlich oder privat krankenversichert ist. An dieser Stelle sei bereits erwähnt, dass lediglich die gesetzlichen Krankenkassen nach § 66 SGB V die Möglichkeit bieten, über den Medizinischen Dienst (MD) eine für den Versicherten kostenfreie (a.) Beschaffung von Kopien der Patientenunterlagen sowie (b.) anschließende Begutachtung zum Verdacht des Vorliegens eines Behandlungs- oder Pflegefehlers durchführen zu lassen.

 

Auch kann es bei länger zurückliegenden Behandlungsgeschehen für den Patientenanwalt wichtig sein, gezielte Fragen nach der i.S.v. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB verjährungsrelevanten Kenntnis des Mandanten zu stellen und zu dokumentieren, wobei im Blick behalten werden darf, dass die Behandlerseite diese Einrede darzulegen und zu beweisen hat (vgl. hierzu: Graf VersR 2015, 199).

 

Schließlich ist beim Mandanten anwaltlich zu erfragen, ob und was er in der Angelegenheit bereits unternommen hat: Wurden Behandlungsunterlagen angefordert (von wem und wann)? Liegt bereits ein Behandlungsfehlergutachten vor? Wurden strafrechtliche Schritte eingeleitet (gegen wen konkret)? Gibt es schriftliche Korrespondenz mit Ärzten, der Klinik bzw. deren Träger, Versicherungen etc.?

 

II.     Anwaltliche Informationsbeschaffung und medizinische Beweissicherung

 

Ein weiterer wesentlicher Baustein für eine gute Prozessvorbereitung im Arzthaftungsrecht ist die anwaltliche Informationsbeschaffung samt medizinischer Beweissicherung.

 

Hier kann es hilfreich sein, wenn der Mandant im Anschluss an das Erstgespräch zuhause einen Fragebogen zu den Geschehnissen beantwortet und/oder einen Gedächtnisbericht erstellt und dem Patientenanwalt nachreicht; wichtig sind für die weitere Fallbearbeitung:

 

➡️ die möglichst ausführliche und ehrliche Erstellung eines Gedächtnisprotokolls bzw. eine schriftliche Schilderung des gegenständlichen Behandlungsgeschehens sowie der darauf zurückzuführenden (mitursächlichen) Personenschäden,

➡️ ein Schmerzfragebogen (bspw.: https://www.schmerzgesellschaft.de/schmerzfragebogen)

➡️ die Erstellung einer Ärzteliste, welche auch die relevanten Mitbehandler enthält sowie

➡️ ggf. vorliegende Behandlungsunterlagen, Gutachten, Korrespondenz mit Dritten zum gegenständlichen Medizinschadensfall, Belege zu den Schäden etc.

 

Ebenso kann die Erstellung von Zeugenberichten durch Angehörige des Mandanten oder sonstige Personen sinnvoll sein.

 

Für den Fall, dass bereits ein Gutachten über den MD der Krankenkassen oder über eine Gutachterkommission/Schlichtungsstelle der Ärztekammer eingeholt wurde, sollte der Patientenanwalt bei der zuständigen Stelle unbedingt Akteneinsicht beantragen und eine Kopie derselben anfordern.

 

Mithilfe der von dem Mandanten gefertigten Ärzteliste ist es für den Patientenanwalt unerlässlich, dass er (oder eine Gutachterstelle) die Patientenakten (Behandlungsunterlagen, ggf. Bildaufnahmen etc.) insbesondere der gegnerischen Behandlerseite ­– aber auch der relevanten Mitbehandler (vor allem des Hausarztes, da dieser in der Regel auch über die Berichte der behandelnden Kliniken und sonstigen Fachärzte verfügt) – in Kopie anfordert.

 

Das Anfordern der maßgeblichen Patientenakten stellt sozusagen den Kern der medizinischen Beweissicherung dar. Ein Anspruch des Patienten auf Überlassung der „Original“-Behandlungsunterlagen besteht zwar nicht. Der EuGH hat mit aktuellem Urteil vom 26.10.2023, Az. C-307/22 aber entschieden, dass mit Blick auf die DSGVO und § 630g BGB dem Patienten im Rahmen eines Arzt-Patienten-Verhältnisses das Recht auf Erhalt einer unentgeltlichen ersten Kopie der vollständigen Patientenakte zusteht. Sollte sich die gegnerische Behandlerseite oder ein Mitbehandler demnach weigern, dieser Verpflichtung (fristgerecht) nachzukommen, könnte der Patientenanwalt nach erfolgloser Mahnung die Möglichkeit einer gerichtlichen Durchsetzung des Einsichts- bzw. Herausgabeverlangens in Erwägung ziehen.

 

Gemäß § 630g Abs. 3 BGB stehen die Rechte aus § 630g Abs. 1 und 2 BGB zur Wahrnehmung der vermögensrechtlichen Interessen bei verstorbenen Patienten den Erben zu; selbiges gilt für die nächsten Angehörigen des Patienten, soweit sie immaterielle Interessen (wie bspw. Hinterbliebenengeld) geltend machen, es sei denn, dass der mutmaßliche oder ausdrückliche Wunsch des verstorbenen Patienten dem entgegensteht (vgl. BGH, Urteil v. 31.05.1983, Az. VI ZR 259/81, NJW 1983, 2627; Spickhoff, Postmortaler Persönlichkeitsschutz und ärztliche Schweigepflicht, NJW 2005, 1982).

 

Die Patientenakten sind sodann sorgfältig und kritisch auf Schlüssigkeit, insbesondere Vollständigkeit, anwaltlich zu prüfen (vgl. zum Prüfungsschema als grobes Raster Konradt in Ehlers/Broglie, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. 2014, Rn. 121 ff.).

 

Die anwaltliche Informationsbeschaffung im Arzthaftungsrecht beinhaltet in der Regel auch den Zugriff auf entsprechende medizinische Fachliteratur (bspw. www.springermedizin.de/buecher) oder Leitlinien (bspw. www.awmf.org/leitlinien).

 

III.    Einholung medizinischer Gutachten im Arzthaftungsmandat

 

Zur Abklärung des Verdachts eines Behandlungs- und/oder Aufklärungsfehlers sollte der Patientenanwalt für den gesetzlich krankenversicherten Mandanten gemäß § 66 SGB V eine kostenfreie Begutachtung durch den MD beantragen; der Patientenanwalt sollte der Krankenkasse hierzu den Sachverhalt und konkrete Beweis-/Gutachterfragen übermitteln sowie die eingeholten Patientenakten zur Verfügung; alternativ kann der Patientenanwalt das Anfordern jener Patientenakten auch der Krankenkasse überlassen.

 

Ist der Mandant privat krankenversichert, findet § 66 SGB V keine Anwendung und es kommt vorgerichtlich und kostenfrei dann „lediglich“ ein Schlichtungsverfahren vor der zuständigen Gutachterkommission in Betracht, im Rahmen dessen ebenfalls ein medizinisches Gutachten zu den Behandlungsfehlern und Aufklärungsfragen erstatten werden kann.

 

Zu sehen ist hier indes, dass nach den Statuten der Gutachterkommissionen die Durchführung des Schlichtungsverfahrens von der Zustimmung des betroffenen Arztes abhängt, da es sich um ein freiwilliges Verfahren handelt. Überdies fällt für den Patientenanwalt gemäß VV 2303 RVG eine gesonderte, vom Rechtsschutzversicherer des Mandanten bedingungsgemäß zu erstattende 1,5 Geschäftsgebühr an. Bei der Gutachter- und Schlichtungsstelle einer Ärztekammer handelt es sich gemäß VV 2303 Nr. 1 RVG i.V.m. § 15a Abs. 3 S. 1 EGZPO um eine „sonstige Gütestelle, die Streitbeilegungen betreibt“ (vgl. BGH, Urteil v. 17.01.2017, Az. VI ZR 239/15, NJW 2017, 1879).

 

Im Übrigen hemmt nach § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB die Anrufung einer Schlichtungsstelle die Verjährung, sofern das Schlichtungsverfahren im gegenseitigen Einvernehmen durchgeführt wird. Da jedoch die Verjährungshemmung nur gegenüber den am Verfahren Beteiligten (= die deliktisch haftenden Ärzte, i.d.R. aber nicht die vertraglich haftenden Träger der Praxis oder Klinik) eintritt, gebietet das anwaltliche Gebot des sichersten Weges stets einen umfassenden Verjährungsverzicht beim Träger der behandelnden Klinik/Gemeinschaftspraxis einzuholen.

 

Spätestens jetzt stellt sich dem Patientenanwalt bei der Prüfung der Verjährungsfrist die (im Arzthaftungsrecht mitunter sehr schwierige) Frage nach der Passivlegitimation, die haftungsträchtig und damit ernst zu nehmen ist.

 

Die vorgerichtliche Einholung eines medizinischen Privatgutachtens ist zwar ein grundsätzlich gangbarer Weg, diesen wird der Mandant in der Praxis aufgrund der damit einhergehenden nicht unerheblichen Kosten jedoch nur selten beschreiten. Auch vom Rechtsschutzversicherer werden die Kosten für die Einholung eines Privatgutachtens bedingungsgemäß nicht übernommen. Insbesondere bei schweren Schäden (bspw. Geburtsschäden) kann jedoch die zusätzliche Einholung eines vorgerichtlichen Privatgutachtens empfehlenswert sein.

 

IV.   Rechtsschutzversicherung im Arzthaftungsmandat

 

Der Patientenanwalt sollte nach Mandatierung möglichst zeitnah eine konkrete Meldung des Rechtsschutzfalles beim Rechtsschutzversicherer vornehmen, um das etwaige Verstreichen von Melde-/Nachmeldefristen der ARB zu verhindern, und zugleich den für den Rechtsschutzfall maßgeblichen Versicherungsschein samt zugehöriger ARB beim Versicherer (in Kopie) anfordern, auch um die Deckungssumme und die voraussichtlichen Rechtsverfolgungskosten („durch alle Instanzen“) prüfen zu können, da gerade bei schweren Schäden (Geburtsschäden) i.d.R. eine höhere Versicherungssumme benötigt wird. Einer ausführlichen und bezifferten Darlegung des Rechtsschutzfalles (Haftungsgrund und Haftungshöhe) bedarf es insoweit bei der Meldung noch nicht, jedoch sollte zumindest mitgeteilt werden, gegen wen Arzthaftungsansprüche wegen ärztlichen Versäumnissen aus welchem Zeitraum geltend gemacht werden (vgl. zum Umfang der Meldung: Harbauer/Cornelius-Winkler, 9. Aufl. 2018, ARB 2010 § 4 Rn. 230).

 

Ferner ist bereits vor (!) der Meldung (wegen des möglichen Vorvertraglichkeits-Einwandes des Rechtsschutzversicherers) der Beginn und ggf. das Ende des Versicherungsschutzes in Erfahrung zu bringen, so dass bereits hier die Weichen für die richtige zeitliche (!) Platzierung der Behandlungsvorwürfe korrekt gestellt werden (vgl. m.w.N.: Zum Rechtsschutzfall in der Produkt- und Arzthaftpflicht Graf r+s 2014, 14).

 

Die Verfasser plädieren dazu, gerade einem nichtrechtsschutzversicherten Mandanten rechtzeitig, eindringlich und besonders ausführlich die Prozesskostenrisiken eines (jedenfalls gerichtlichen) Verfahrens zu erläutern und aufgrund der meist schwer abschätzbaren Risiken ggf. auch davon abzuraten, sofern ein Prozessfinanzierer nicht gefunden werden kann (vgl. gute Übersicht der Prozessfinanzierer in AnwBl Online 2021, 223).

 

V.     Anwaltliches Anspruchsschreiben im Arzthaftungsmandat

 

Anhand der eingeholten Informationen, der erfolgten medizinischen Beweissicherung sowie ggf. bereits vorliegender Gutachten ist der Sachverhalt anwaltlich zu erarbeiten und rechtlich zu bewerten sowie anschließend das anwaltliche Anspruchsschreiben an die gegnerische Behandlerseite zu erstellen.

 

Hierbei empfiehlt es sich,

 

➡️ das gegenständliche Behandlungsgeschehen,

➡️ die Anspruchsgrundlagen,

➡️ die gerügten ärztlichen Pflichtverletzungen,

➡️ den Ursachenzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden sowie

➡️ die immateriellen und materiellen Schäden

 

konkret und schlüssig darzulegen sowie die gegnerische Behandlerseite zusätzlich zur Abgabe einer Anerkenntniserklärung („mit Wirkung eines gerichtlichen Feststellungsurteils“) aufzufordern.

 

Im Rahmen des Anspruchsschreibens (sowie auch in einer etwaig späteren Prozessschrift) sollte der Patientenanwalt – sofern möglich – grundsätzlich (ggf. nur) die deliktisch haftenden Anspruchsgegner aufführen, denn:

 

➡️ Im Gerichtsverfahren wird der jeweilige Behandler als Zeuge ausgeschaltet.

➡️ Der Mandant trägt dann nicht das Insolvenzrisiko des Klinikträgers. Ist über das Vermögen des Klinikträgers das Insolvenzverfahren eröffnet, gilt § 110 VVG.

➡️ Der rechtsschutzversicherte Mandant läuft bei der Geltendmachung deliktischer Arzthaftungsansprüche nicht Gefahr, dass aufgrund der Wartefrist (von meist drei Monaten ab Vertragsbeginn) der Versicherungsschutz ausgeschlossen ist. Weiterhin könnte dann ggf. mithilfe der Folgeereignistheorie und Abstellen auf den Schadenszeitpunkt der Rechtsschutzfall aus der Vorvertraglichkeit gehebelt werden (vgl. erneut Graf r+s 2014, 14).

➡️ Sollten sich jedoch keine Probleme mit der Vorvertraglichkeit des Rechtsschutzversicherers ergeben, kann und sollte der Träger der Klinik/Praxis grundsätzlich zusätzlich mit in die Haftung genommen werden.

 

Der in der anwaltlichen Praxis weit verbreitete Usus, ausschließlich nur den Klinik-/Praxisträger in die vertragliche Haftung zu nehmen, da dieser über § 278 BGB auch für das angestellte Klinikpersonal mithaftet, könnte (muss aber nicht) folglich mit erheblichen nachteiligen Folgen für den anspruchsstellenden Patienten einhergehen.

 

Handelt es sich indes um ein Behandlungsgeschehen, bei welchem verschiedenste Behandlungsfehler und Verursachungsbeiträge eine Rolle spielen könnten und unklar ist, wem (welchem deliktisch haftenden Behandler) diese im Einzelnen zuzurechnen sind, macht es – trotz der genannten Risiken – aus dem Gesichtspunkt des sichersten Weges durchaus Sinn, zusätzlich auch den Klinikträger mit in die Haftung zu nehmen.

 

Dass ein Patient vom Träger eines Krankenhauses grundsätzlich Auskunft über den Namen und die ladungsfähige Anschrift der beteiligten Behandler verlangen kann, folgt aus dem allgemeinen Auskunftsanspruch nach § 242 BGB und ist seit langem höchstrichterlich anerkannt (vgl. BGH, Urteil v. 20.01.2015, Az. VI ZR 137/14, NJW 2015, 1525; OLG Köln, Beschluss v. 15.08.2018, Az. 5 W 18/18, MedR 2019, 147).

 

➡️ Tipp 1: Der Patientenanwalt sollte zunächst nur einen Entwurf seines Anspruchsschreibens an seinen Mandanten zur Prüfung, Stellungnahme und Freigabe übermitteln und erst anschließend (ggf. nach Optimierung) das Anspruchsschreiben in den Rechtsverkehr entlassen.

 

➡️ Tipp 2: Nach Freigabe durch einen rechtsschutzversicherten Mandanten sollte der Entwurf des (optimierten) Anspruchsschreibens zunächst an den Rechtsschutzversicherer mit der Bitte um „Deckungszusage für den Rechtsschutzfall“ übermittelt werden. Oft kann es dann zu Diskussionen mit dem Rechtsschutzversicherer kommen, hier sei zur Prüfung von Einwendungen des Rechtsschutzversicherers gegen den Medizinschadensfall die Lektüre von Graf/Johannes VersR 2023, 1554 empfohlen.

 

Erst nach Deckungszusage und Erstattung eines angemessenen Vorschusses (§ 9 RVG) sollte der Patientenanwalt sein Anspruchsschreiben an den / die Gegner ausfertigen und die weitere Regulierung durchführen.

 

VI.   Risiken eines strafrechtlichen Vorgehens im Arzthaftungsmandat

 

Nicht selten haben Mandanten, die einen Patientenanwalt aufsuchen und den Vorwurf einer ärztlichen Fehlbehandlung erheben, das Bedürfnis nach „Vergeltung oder Rache“ und daher das primäre Ansinnen, gegen den betroffenen Behandler strafrechtliche Schritte einzuleiten. Hier ist es die Aufgabe eines guten Patientenanwalts, dem Mandanten die Risiken eines solchen strafrechtlichen Vorgehens zu erläutern und grundsätzlich davon abzuraten. Insoweit sind dem Mandanten insbesondere folgende Nachteile zu nennen:

 

➡️ In der Regel werden die Behandlungsunterlagen als Folge einer Strafanzeige von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt, so dass sich für den Patientenanwalt erhebliche Schwierigkeiten hinsichtlich der Akteneinsicht und weiteren Regulierung ergeben können. Sobald die Staatsanwaltschaft ein medizinisches Gutachten in Auftrag gibt, stehen die Behandlungsunterlagen lange Zeit nicht zur Einsicht zur Verfügung.

 

➡️ Die im Allgemeinen lange Dauer des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens geht mit einem erheblichen Zeitverlust einher.

 

➡️ Zivilrechtliche Regulierungs- oder Vergleichsverhandlungen werden durch ein Strafverfahren nicht nur stark eingeschränkt, sondern sogar teilweise torpediert, da sich die Fronten auf der Behandlerseite verhärten und die Regulierungs- oder Vergleichsbereitschaft (sowie die Bereitschaft zur Erklärung/Verlängerung des Verzichts auf die Einrede der Verjährung) massiv sinkt.

 

➡️ Im Falle der Einleitung eines wegen desselben Sachverhalts nach Anrufung der Gutachterkommission der Ärztekammer eröffnetes strafrechtliches Ermittlungsverfahren wird das Verfahren vor der Gutachterkommission ausgesetzt.

 

Im Übrigen sollte der Patientenanwalt seinen Mandanten insbesondere darauf hinweisen, dass

 

➡️ die anwaltlichen Kosten der Strafanzeige und der anwaltlichen Führung des Verfahrens vom Rechtsschutzversicherer i.d.R. nicht übernommen werden,

 

➡️ die Zurückhaltung der Gutachter hinsichtlich der Feststellung eines kausalen Behandlungsfehlers viel größer ist, sofern es um strafrechtliche Schritte gegen Arztkollegen geht,

 

➡️ das Strafrecht, anders als das Zivilrecht, keine (!) Beweiserleichterungen für den sehr häufig streitentscheidenden Kausalzusammenhang zwischen Behandlungsfehler und eingetretenem Gesundheitsschaden kennt und

 

➡️ erfahrungsgemäß nur die wenigsten Ermittlungsverfahren, die gegen einen Arzt oder Behandler wegen des Vorwurfs eines Behandlungsfehlers geführt werden, tatsächlich zur Anklage und anschließenden Verurteilung des Arztes führen und in der Praxis solche (in der Justiz meist unliebsamen) Ermittlungsverfahren oft mit einer Verfahrenseinstellung enden, was dann wiederum regelmäßig zur Folge hat, dass – unabhängig davon, warum das Verfahren eingestellt wurde – die Verfahrenseinstellung später den zivilrechtlich geltend gemachten Schadensersatzansprüchen entgegengehalten wird.

 

Liegen hingegen konkrete Anhaltspunkte für die unbefugte Manipulation der Behandlungsunterlagen vor, kann die Erstattung einer Strafanzeige – wegen §§ 267 ff. StGB (Urkundsdelikte) sowie ggf. wegen versuchtem Prozessbetrug – durchaus sinnvoll sein. In solchen Fällen ist zu empfehlen, vorab telefonisch mit der Staatsanwaltschaft zu vereinbaren, dass unmittelbar nach Eingang der Strafanzeige eine Durchsuchung und Beschlagnahme jener Behandlungsunterlagen veranlasst wird.

 

VII.   Wahl der gerichtlichen Verfahrensart im Arzthaftungsmandat

 

Eine gute Lösung für geschädigte Mandanten kann im außergerichtlichen Bereich oft schon innerhalb von zwei bis drei Jahren gefunden werden. Die Verfahrensdauer vor Gericht ist um ein Vielfaches höher. Derzeit liegt die Dauer eines gerichtlichen Verfahrens im Personenschadensrecht bei Durchlaufen aller Instanzen bei meist über 10 Jahren, die Tendenz ist steigend. Diese viel zu lange gerichtliche Verfahrensdauer schädigt den geschädigten Rechtsschutzsuchenden meist zusätzlich, da er hierdurch in eine wirtschaftliche und/oder existenzielle Krise geraten kann.

 

Der geschädigte Mandant möchte zeitnah seine Ansprüche reguliert wissen, er möchte eine angemessene Abfindungssumme. Eine hohe Schadens-/Abfindungssumme lässt sich durchaus im außergerichtlichen Bereich durch saubere Beweisbeschaffung und -prüfung sowie durch anschließende intensive Verhandlung mit der gegnerischen Klinik oder Versicherung erzielen.

 

Im Gegensatz dazu bietet ein gerichtliches Verfahren selten Vorteile. Oft zementiert gerade die Einreichung einer Klage das Abwehrverhalten von Kliniken, Ärzten und Versicherungen. Hinzu kommt, dass die Gerichte heute die zeitlichen Zusatzaufwände scheuen, die ein zusätzliches Güteverfahren oder zusätzliche Güteversuche des Richters (§ 278 ZPO) mit sich bringt. Zeitgerechte schriftliche Vergleichsvorschläge von Richtern und umfassende Vergleichsverhandlungen vor dem Gerichtstermin können aufgrund der Zeitnot und Arbeitsüberlastung der Richter meist nicht mehr erfolgen.

 

Ein Gerichtsverfahren mutiert daher in aller Regel zu einem für den Patienten „bitteren Streitverfahren", in dem die gegnerische Klinik oder Versicherung taktisch gut auf Zeit spielen kann, und auch Richter in manchen Fällen die Akte lieber „schieben" möchten, um auf den ersehnten Richterwechsel zu warten.

 

Zu oft kann ein Richter heutzutage – aufgrund der viel zu hohen Zahl der Akteneingänge – das einzelne Schicksal des Geschädigten leider nicht angemessen bearbeiten, nicht selten werden die Grundsätze des fairen Verfahrens und der Waffengleichheit der sog. „Prozessökonomie" geopfert.

 

Daher läuft ein Gerichtsverfahren nicht selten auf eine gerichtliche Endentscheidung hinaus, die oft erst nach sehr vielen Jahren erfolgt und die im Arzthaftungsrecht häufig bloß eine „Alles oder Nichts"-Entscheidung ist, da gerade die hoch streitigen Kausalitätsfragen das Urteil in die eine oder andere Richtung führen.

 

Daher sollte der Patientenanwalt unbedingt zunächst außergerichtliche Regulierungs-/Vergleichsverhandlungen anstreben.

 

Scheitern diese außergerichtlichen Regulierungs-/Vergleichsverhandlungen und begehrt der Mandant die gerichtliche Rechtsverfolgung, stellt sich dann die Frage, ob

 

➡️ ein Klageverfahren oder

➡️ ein selbständiges Beweisverfahren gemäß § 485 ZPO eingeleitet werden soll, vgl. hierzu Graf/Johannes MedR 2022, 28 zur Differenzierung des einvernehmlichen bzw. sichernden Beweisverfahrens (§ 485 Abs. 1 ZPO) vom streitschlichtenden Beweisverfahren (§ 485 Abs. 2 ZPO).

 

Das „streitschlichtende selbständige Beweisverfahren gemäß § 485 Abs. 2 ZPO“ soll nach dem Willen des Gesetzgebers (vgl. BT-Dr. 11/3621, S. 24) dazu dienen, mit seinem Beweisergebnis die Voraussetzungen für ein erfolgversprechendes Güteverfahren zu schaffen (§ 492 Abs. 3 ZPO). Es soll unter Meidung eines sonst zu erwartenden Hauptsacheprozesses eine rasche und kostensparende Einigung der Parteien in einem vereinfachten und beschleunigten Verfahren ermöglichen.

 

Diese besondere Verfahrensart hat gerade im Arzthaftungsmandat den immensen Vorteil, dass der Patientenanwalt „seine“ Beweisfragen vorgibt und das Beweisergebnis eine Bindungswirkung gegenüber der Gegenseite entfaltet, da gemäß § 493 Abs. 1 ZPO die selbständige Beweiserhebung einer Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht gleichsteht.

 

Ein weiterer Vorteil des selbständigen Beweisverfahrens ist darin zu sehen, dass (anders als bei einem Klageverfahren) lediglich eine 1,0 Gerichtsgebühr anfällt. Zudem wird gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 7 BGB die Verjährung auch durch die Zustellung des Antrags auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens gehemmt.

 

Dem Einwand der Arztanwälte gegen diese Verfahrensart kann der Patientenanwalt leicht entgegengetreten: Der BGH hat sich für eine unbeschränkte Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens im Arzthaftungsrecht ausgesprochen (vgl. Graf/Johannes MedR 2022, 28; Graf/Johannes/Schwuchow VersR 2020, 1355; Graf/Johannes MedR 2020, 26; Graf VersR 2019, 596; Graf/Werner VersR 2017, 913; vgl. auch zur Zulässigkeit und Zweckmäßigkeit des selbständigen Beweisverfahrens im Medizinschadensrecht Graf/Wesselkamp MedR 2023, 987).

 

Auch dem Einwand des Rechtsschutzversicherers gegen diese Verfahrensart kann der Patientenanwalt leicht entgegengetreten: Ein selbständiges Beweisverfahren im Arzthaftungsrecht ist weder mutwillig i.S.d. ARB noch verstößt es gegen § 82 VVG (vgl. OLG München, Endurteil v. 30.06.2017, Az. 25 U 4236/16, VersR 2017, 1516; Graf/Schoenaich VersR 2017, 1505), so dass insoweit eine uneingeschränkte vertragliche Kostenschutzpflicht des Rechtsschutzversicherers besteht. Das Weisungsrecht des Rechtsschutzversicherers nach § 82 Abs. 2 VVG erlaubt es diesem nicht, Vorgaben hinsichtlich einer aus seiner Sicht zweckmäßigen Prozessführung – Klage statt selbständiges Beweisverfahren – zu machen (vgl. zum Deckungsschutz für das selbständige Beweisverfahren in Arzthaftungssachen LG München I Urteil v. 14.11.2022, Az. 41 O 4351/22, NJW-RR 2023, 474 und Graf/Johannes VersR 2023, 1554).

 

Ein Klageverfahren wird aus Sicht der Verfasser nur dann dem selbständigen Arzthaftungsbeweisverfahren vorzuziehen sein, wenn es für den Nachweis eines Behandlungsfehlers maßgeblich darauf ankommt, welche konkreten Symptome der Patient beklagt hat und die Behandlungsdokumentation insoweit lückenhaft ist, so dass insoweit zunächst die Patienten- und Arztseite im Gerichtstermin zu vernehmen sind, wobei auch dies durch eine Alternativbegutachtung im selbständigen Beweisverfahren zunächst umschifft werden kann (vgl. Graf VersR 2019, 596; Johannes MedR 2023, 995).

 

Die Verfasser sind der festen Überzeugung, dass eine rasche und gute außergerichtliche Lösung dem Mandanten oft mehr dient, als ein jahrelanger – womöglich jahrzehntelanger – Rechtsstreit vor Gericht (ohne Gewissheit über dessen Ausgang); natürlich gilt gerade hier: Keine Regel ohne Ausnahme. Sollte ein Arzthaftungsprozess notwendig werden, so sollte dieser – wie oben aufgezeigt – gut vorbereitet sein.

 

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