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Ärztliche Aufklärung und richterliche Krankenaktenbeiziehung im selbständigen Beweisverfahren.

Rechtsanwältin Gabriela Johannes. Expertin für selbständige Beweisverfahren.
Rechtsanwältin Gabriela Johannes. Expertin für selbständige Beweisverfahren.

Das selbständige Beweisverfahren ist in Arzthaftungssachen stets zulässig.

Für die Zulässigkeit reicht es bereits aus, wenn es um die Frage geht, ob die ärztliche Behandlung bzw. Aufklärung vom geschuldeten medizinischen Standard abweicht und als mögliche Ursache der gesundheitlichen Beeinträchtigung in Betracht kommt.


Hiernach sind auch die Fragen nach dem Vorliegen grober Behandlungsfehler und ärztlicher Aufklärungsfehler zulässig. Im selbständigen Beweisverfahren ist die gegnerische Behandlerseite jedenfalls über §§ 421 ff. ZPO zur Vorlage ihrer Krankenunterlagen verpflichtet.OLG Hamm (26. Zivilsenat), Beschluss vom 09.07.2019 - 26 W 8/19.

Problemstellung:

Das selbständige Beweisverfahren (sog. „OH-Verfahren“) nach § 485 Abs. 2 ZPO ist im Medizinschadensrecht immer noch ein juristisch „heiß umkämpftes“ Gebiet. Die Ergebnisse und Argumentationen der jeweiligen Verfechter könnten unterschiedlicher nicht sein. Jüngst wird der Streit an der Front der „ärztlichen Aufklärung“ geführt. Hierbei wird diskutiert, ob diese „medizinische Rechtsfrage“ überhaupt zulässiger Gegenstand des OH-Verfahrens sein kann. Die Gegner (bzw. Gegenstimmen) des arzthaftungsrechtlichen OH-Verfahrens weisen als Hauptmotiv vor allem darauf hin, dass das Beweisverfahren im Arzthaftungsrecht letztlich gänzlich unnötig sei. Denn als Vorverfahren könne es ohnehin keine vollständige Klärung der Arzthaftungsfragen herbeiführen, vielmehr müsse der Streitfall letztlich durch ein Hauptsacheverfahren geklärt und entschieden werden, zumal das OH-Verfahren lediglich einseitig durch die Antragstellerpartei geführt würde. Gesehen werden muss dabei, dass das OH-Verfahren für die betroffene Kammer oft einen „lästigen“ Mehraufwand bedeutet, da die jeweilige Sache bei der turnusmäßigen Vergabe neuer Verfahren innerhalb eines (Land-)Gerichts weitestgehend unberücksichtigt bleibt, sprich der damit einhergehende Arbeitsaufwand der Kammer zur ohnehin schon bestehenden Belastung noch hinzutritt, weshalb das OH-Verfahren den Gerichten nicht selten „spinnefeind“ ist. Hingegen führen die Befürworter des arzthaftungsrechtlichen OH-Verfahrens ins Feld, dass der Gesetzgeber mit § 485 Abs. 2 ZPO das selbständige Beweisverfahren bewusst als „subjektives Vorverfahren“ gewollt und damit gezielt ein Verfahren geschaffen hat, welches in den Händen des Antragstellers liegt und ihm zur Klärung seiner Beweisthemen (vor allem Ursache eines Personenschadens und Zustand der Person) verhelfen soll, sofern die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann. Derzeit sind beim BGH zwei Rechtsbeschwerdeverfahren zum Az. VI ZB 27/19 und zum Az. VI ZB 51/19 anhängig, die hoffentlich eine höchstrichterliche Klärung dieses Streitfeldes herbeiführen werden. Es bleibt abzuwarten, ob der BGH hierbei mittels obiter dictum dann auch die weitere strittige Rechtsfrage klärt, ob im selbständigen Beweisverfahren das Erstgericht die medizinischen Behandlungsunterlagen der Antragsgegner beiziehen soll. Die bisherige BGH-Rechtsprechung hierzu lässt Anwendungsfragen offen. Dennoch lehnen mittlerweile die Erstgerichte in OH-Verfahren die Beiziehung der ärztlichen Behandlungsunterlagen unter Hinweis auf BGHZ 173, 23 kategorisch (und ohne Prüfung des Einzelfalls) ab, was vom BGH so wohl kaum beabsichtigt gewesen sein kann.

 

Zum Sachverhalt:

 

Die ASt. beantragte im Wege der Prozesskostenhilfe im Jahr 2019 beim LG Siegen die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens nach § 485 Abs. 2 ZPO zur Feststellung von ärztlichen Behandlungs- und Aufklärungsfehlern anlässlich einer Wirbelsäulenoperation vom 13.04.2017 und einer weiteren Operation vom 09.10.2018. Dabei brachte die ASt. insbesondere folgende Beweisfragen und Verfahrensgegenstände in das selbständige Beweisverfahren ein:

 

A.

Es soll Beweis erhoben werden durch Einholung eines neurochirurgischen Gutachtens über folgende Fragen:

1. Liegen bei der ASt. pathologische Zustände

a. im Bereich der Wirbelsäule auf Höhe L5/S1

b. im Bereich des linken Beins und der Gesäßregion links vor,

die durch einen Fehler beim Einsetzen des Implantats und/oder Verwendung eines nicht dem medizinischen Standards entsprechenden Implantats bei der Wirbelsäulenoperation vom 13.04.2017 und der weiteren Operation vom 09.10.2018 verursacht worden sind?

2. Soweit Fehler bejaht werden, handelt es sich um grobe oder einfache Fehler?

3. Weist das bei der Operation vom 13.04.2017 eingebrachte Barricaid-Implantat Funktions- und/oder Materialfehler auf (ist es z.B. gebrochen)?

4. Genügt die Aufklärung über bestehende Risiken und evtl. bestehende echte Behandlungsalternativen dem damals üblichen medizinischen Standard?

5. Soweit Behandlungsfehler bejaht werden:

Welche weiteren Maßnahmen sind mit welchen Kosten nunmehr erforderlich, um den pathologischen Zustand zu beseitigen bzw. zu therapieren.

B.

1. Soweit erforderlich, soll der Sachverständige die ASt. untersuchen.

2. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, ihre Behandlungsunterlagen dem Sachverständigen zur Verfügung zu stellen.

 

Das LG gab mit Beschl. vom 07.05.2019 – 2 OH 2/19 den Anträgen nur teilweise statt und wies dabei insbesondere die Beweisfrage A.2 (grober Behandlungsfehler?), die Beweisfrage A.4 (Aufklärungsfehler?), sowie den Verfahrensantrag B.2 (Vorlage der Behandlungsunterlagen) als im selbständigen Beweisverfahren unzulässige Beweisthemen/-gegenstände zurück. Die sofortige Beschwerde der ASt. hatte weitgehend Erfolg. Das OLG änderte die Entscheidung des Erstgerichts mit Beschluss vom 09.07.2019 - 26 W 8/19 ab und lies die Beweisfragen A.2 und A.4, sowie das Verfahrensbegehr B.2 als zulässige Gegenstände im selbständigen Beweisverfahren zu.

 

 

Aufsatz:

 

A. Einleitung

 

1)

In einer Fülle von obergerichtlichen Entscheidungen wird nunmehr die grundsätzliche Zulassung von Fragen zu Aufklärungsfehlern in OH-Verfahren bejaht. Auch die aktuelle medizinrechtliche Literatur bestätigt die grundsätzliche Zulassung von Fragen zu Aufklärungsfehlern im selbständigen Beweisverfahren. Aktuell treten noch das OLG Karlsruhe und das OLG Stuttgart dieser strittigen Rechtsfrage als Gegnerstimmen vehement entgegen.

Anzumerken ist an dieser Stelle, dass mittlerweile auch im Personenversicherungsrecht das selbständige Beweisverfahren uneingeschränkt zulässig ist und zwar auch im Hinblick auf „medizinische Rechtsfragen“ wie bspw. die bedingungsgemäße unfallbedingte Invalidität iSd § 178 VVG.

 

2)

Zur strittigen Vorlagepflicht bzgl. der ärztlichen Behandlungsunterlagen finden sich heute „starke“ (ober-)gerichtliche Befürworter und juristische Veröffentlichungen / Kommentierungen, welche sich für die Pflicht der Behandlerseite zur Herausgabe und Vorlage ihrer Krankenunterlagen im selbständigen Beweisverfahren aussprechen. 

So ist Riemer der zutreffenden Auffassung, dass die Urkundsbeiziehung im „zur Beweissicherung“ gem. § 485 Abs. 1 ZPO jedenfalls zulässig sei, wenn das Beweismittel etwa verlustig zu gehen drohe. Die Behandlungsdokumentation sei unzweifelhaft ein „Beweismittel“ im Arzthaftungsprozess.

 

Der BGH nimmt bislang leider nur zu der Frage Stellung, ob gegen die Ablehnung der Anordnung der Urkundenvorlegung gem. § 142 ZPO im selbständigen Beweisverfahren ein Rechtsmittel gegeben ist und stellt fest, dass das Gericht gem. § 142 Abs. 1 S. 1 ZPO anordnen kann, dass eine Partei oder ein Dritter die in ihrem oder seinem Besitz befindlichen Urkunden und sonstigen Unterlagen, auf die sich eine Partei bezogen hat, vorlegt. Freilich gibt es auch zu dieser Rechtsfrage strikte Gegnerstimmen, etwa das OLG Karlsruhe, sowie vermittelnde Ansichten. Laut OLG Hamm folgt die strittige Vorlageverpflichtung im OH-Verfahren jedenfalls eindeutig aus den Vorschriften der §§ 421 ff. ZPO.

 

B. Aktuelle Rechtsprechung

 

Das OLG Hamm stärkt mit Beschluss vom 09.07.2019 - 26 W 8/19 die Befürworter des selbständigen Beweisverfahrens, indem es unter Abstellung auf die weite und patientenfreundliche Auslegung des § 485 Abs. 2 ZPO einerseits die Fragen nach dem Vorliegen grober Behandlungsfehler und ärztlicher Aufklärungsfehler für zulässig einstuft, sowie andererseits die gegnerische Behandlerseite über §§ 421 ff. ZPO zur Vorlage ihrer Krankenunterlagen verpflichtet.

 

Der Vollständigkeit halber sei hierzu auf zwei aktuelle Entscheidungen des OLG Köln verwiesen:

Mit Beschluss vom 16.08.2019 - 5 W 24/19 stellt das OLG Köln fest, dass Beweisfragen an den Sachverständigen zur ärztlichen Aufklärung (hier: ob es eine gleichwertige Behandlungsalternative zu dem tatsächlich erfolgten Eingriff gab) im Beweisverfahren zuzulassen seien, da diese Fragen der Begutachtung durch den Sachverständigen zugänglich seien und sinnvollerweise nur durch ihn beantwortet werden können. Die Klärung dieses Punktes sei iSv § 485 Abs. 2 S. 2 ZPO grundsätzlich geeignet, einen Rechtsstreit zu vermeiden und es spräche nichts dagegen, einen konkret bezeichneten Aufklärungsfehler im selbständigen Beweisverfahren „miterledigen zu lassen“.

 

Besonders erwähnenswert ist auch der Beschluss des OLG Köln vom 15.05.2019 - 5 W 5/19, in dem der Senat in Fortführung der befürwortenden Rechtsprechung des BGH (BGH VersR 2014, 264 postuliert den groben Behandlungsfehler als zulässigen Gegenstand im OH-Verfahren) nunmehr auch Beweisfragen zur „medizinischen Rechtsfrage“ nach der ärztlichen Dokumentation im OH-Verfahren ausdrücklich zulässt. Denn die Würdigung der Dokumentation sei im Hinblick auf Unstimmigkeiten und Unvollständigkeiten sinnvoller Bestandteil der Begutachtung. Allgemein gelte ferner, dass nach der neueren Rechtsprechung des BGH an die Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens insbesondere im Bereich der Arzthaftung keine zu strengen Anforderungen zu stellen seien. Vielmehr seien auch Fragen, die (außerhalb des Beweisverfahrens) einer rechtlichen Bewertung bedürfen, durchaus zur weiteren Streitvermeidung geeignet und damit grundsätzlich zulassungsfähig. Laut OLG Köln sei eine zu „engherzige“ Betrachtung hier insofern nicht angezeigt. Denn gerade die Frage nach Unstimmigkeiten und Lücken in der Dokumentation hänge eng mit der Klärung der tatsächlichen Abläufe und der Frage, ob diese Abläufe gegen fachärztlichen Standard verstoßen haben, zusammen. Laut OLG Köln sei die Formulierung dieser Beweisfrage im OH-Verfahren sogar nötig, da es zwar möglich, jedoch nicht sicher sei, dass ein mitdenkender Sachverständiger von sich aus Aussagen zu Auffälligkeiten der Dokumentation mache. Das OLG Köln stellt hierzu in aller Deutlichkeit fest, dass dem Senat „zahllose Beispiele vor Augen stehen, wo Sachverständige - etwa aus Sorge, sich einem Befangenheitsgesuch auszusetzen - sich geradezu sklavisch darum bemühen, am Buchstaben der Beweisfrage zu kleben und keinesfalls darüber hinaus reichende Aussagen zu treffen“.

 

Als jüngere Gegenstimmen gegen das uneingeschränkte arzthaftungsrechtliche OH-Verfahren seien zwei (noch nicht rechtskräftige) aktuelle Entscheidungen des 13. Senats des OLG Karlsruhe (Beschluss vom 05.04.2019 - 13 W 17/19 und Beschluss vom 08.07.2019 - 13 W 23/19) genannt, die sich derzeit im Wege der Rechtsbeschwerde beim BGH befinden.

 

C. Weitere Überlegungen und Praxisfragen

 

Die Verfasser reihen sich in die Linie der Befürworter der uneingeschränkten Zulässigkeit selbständiger Beweisverfahren in Medizinschadenssachen ein, denn (erstens) können die im Arzthaftungsrecht regelmäßig auftauchenden „medizinischen Rechtsfragen“ nach Behandlungsfehlern, groben Behandlungsfehlern, Aufklärungsfehlern und Dokumentationsfehlern allesamt unter den Tatbestand der „Ursache eines Personenschadens“ (§ 485 Abs. 2 S. 1 ZPO) subsumiert werden, und (zweitens) ist der Begriff des rechtlichen Interesses iSv § 485 Abs. 2 S. 2 ZPO sehr weit zu fassen, eine mögliche Verwertbarkeit oder generelle Eignung zur Streitbeilegung genügt.

 

Ausgangspunkt bei der Beurteilung der hier verfahrensgegenständlichen und vom Beschwerdegericht entscheidungserheblich bezeichneten Frage (d.h. ob ein selbständiges Beweisverfahren auch im Hinblick auf Beweisfragen zulässig ist, die die medizinischen Fragen des groben Behandlungsfehlers und einer Aufklärung bzw. Aufklärungspflichtverletzung betreffen) ist, dass sich die gerichtliche Beurteilung, ob der Fehler als grob einzustufen ist bzw. ob die Aufklärung den gebotenen Anforderungen entsprach, gerade nicht auf den Urkundenbeweis (Behandlungsunterlagen; Aufklärungsbogen bzw. Aufklärungsvermerke in der Patientenkartei) oder auf den Zeugenbeweis / Parteieinvernahme bzw. -anhörung über den Inhalt des Aufklärungsgesprächs beschränken kann. Insbesondere hinsichtlich der hier verfahrensgegenständlichen medizinischen Gesichtspunkte der Risikoaufklärung und der Frage nach einer Behandlungsalternative bedarf es gerade im Arzthaftungsrecht vielmehr immer und zwingend auch des Sachverständigenbeweises.

 

So stellt Greiner zutreffend fest, dass die Entscheidung über den medizinischen Sachverhalt („– Behandlungsfehler, Aufklärungspflichtverletzung, Schadenskausalität (…)“) grundsätzlich vorrangige sachverständige Beratung des Richters durch das Gutachten eines medizinischen Sachverständigen verlangt.

 

Auch Laumen weist - obgleich der Zulässigkeit von Fragen zur Risiko- und Sicherungsaufklärung ablehnend gegenüberstehend - richtigerweise darauf hin, dass insbesondere die Frage, ob der Arzt den Patienten über einen bestimmten weiteren Umstand hätte aufklären müssen, (nur) dem Sachverständigenbeweis zugänglich ist.

 

Das somit stets erforderliche und immer vorrangige medizinische Sachverständigengutachten kann daher durchaus über § 485 Abs. 2 ZPO die streitigen „medizinischen Rechtsfragen“ zu ärztlichen Aufklärungsfehlern und zum groben Behandlungsfehler im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens beantworten und klären, weil gerade die gutachterliche Feststellung hierüber der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann.

 

Der BGH hat im Jahr 2013 bereits festgelegt, dass die „medizinische Rechtsfrage“ des groben Behandlungsfehlers im selbständigen Beweisverfahren nach § 485 Abs. 2 ZPO zulässig ist, was aus Sicht der Verfasser und der derzeit herrschenden obergerichtlichen Rechtsprechung direkt auf den ärztlichen Aufklärungsfehler übertragbar ist:

 

I.) Der Aufklärungsfehler als Personenschadensursache (§ 485 Abs. 2 S. 1 Z. 2 ZPO); der Patientenzustand als Richtungsgeber für die Aufklärung (§ 485 Abs. 2 S. 1 Z. 1 ZPO)

 

1)

Das OLG Rostock führte im Jahre 2018 zum Tatbestandsmerkmal des § 485 Abs. 2 S. 1 ZPO (Ursache eines Personenschadens) nachvollziehbar die Regelung des § 630h BGB ins Feld, dessen Absatz 2 (vgl. auch die amtliche Überschrift des § 630h BGB: „Beweislast bei Haftung für Behandlungs- und Aufklärungsfehler“) den Aufklärungsfehler als Ursache der ärztlichen Haftung ausdrücklich mit einschließt. Es liege auf der Hand, dass der ärztliche Aufklärungsfehler dazu führen könne, dass sich der Patient einem rechtswidrigen, in der Regel komplikationsbehafteten, ärztlichen Eingriff unterziehe und hierdurch einen Personenschaden erleide. Die Schadenscausa bestehe darin, dass ohne diese Aufklärungsfehler sich der Patient nicht oder jedenfalls nicht in dieser Form hätte behandeln lassen und der konkrete Personenschaden ausgeblieben wäre. Erweist sich das Aufklärungsgespräch als nicht ausreichend, so fehlt es an der erforderlichen Einwilligung des Patienten. Fehlt es an einer solchen Einwilligung, so liegt per se eine Körperverletzung mit der Folge eines Personenschadens vor, ohne dass es auf die Frage ankommt ob die Maßnahme medizinisch indiziert war. Ein Personenschaden ist deshalb schon alleine aufgrund der unzureichenden Aufklärung und dem daraus folgenden Fehlen einer Einwilligung anzunehmen. Mithin erfüllt die fehlerhafte ärztliche Aufklärung stets das Merkmal der „Ursache eines Personenschadens“ nach § 485 Abs. 2 S. 1 Z. 2 ZPO

 

2)

Überdies kann freilich der „Zustand einer Person“, den § 485 Abs. 2 S. 1 Z. 1 ZPO nennt, in medizinischer Hinsicht durchaus konkret für den Umfang der gebotenen Aufklärung relevant sein - und umgekehrt (Spickhoff, Medizinrecht, 3. Aufl. 2018., 80. Zivilprozessrecht Rn. 17; vgl. hierzu vertiefter auch: Graf VersR 2019, 596 (598). Intensität und Umfang der ärztlichen Aufklärung sind nämlich grds. auch an der jeweiligen Sachlage des Einzelfalls auszurichten, und zwar sowohl an der konkreten medizinischen Behandlung als auch am konkreten Zustand des Patienten unter Berücksichtigung seiner speziellen beruflichen und privaten Lebensführung (patientenbezogene Aufklärung). Mithin kann man sagen, dass auch bei der medizinischen Aufklärung durch einen Arzt der Zustand des Aufklärungsadressaten bzw. des Patienten (§ 485 Abs. 2 S. 1 Z. 1 ZPO) Gegenstand der zu klärenden Tatsachen sein muss.

 

II.) Rechtliches Interesse: Möglichkeit der späteren Streitvermeidung reicht aus

 

Zu § 485 Abs. 2 S. 2 ZPO („rechtliches Interesse“) stellt Bomke zutreffend fest, dass es im Arzthaftungsstreit durch die Zulassung solcher Beweisfragen, auch derjenigen zu den Aufklärungsfehlern bzw. zur Aufklärungsdokumentation, durchaus zu einer gütlichen Einigung oder zu einer Verfahrensrücknahme kommen könne und zwar ohne dass sich das Gericht überhaupt mit der Erheblichkeit des Vorbringens befassen müsse. Der Erfahrung der Verfasser entspricht es auch, dass die weit überwiegende Mehrzahl der von spezialisierten Patientenanwälten geführten medizinrechtlichen (und versicherungsrechtlichen) selbständigen Beweisverfahren zügig und effektiv erledigt und meist streitvermeidend gütlich beendet werden. Im Ergebnis wird durch ein uneingeschränktes OH-Verfahren der medizinische Sachverhalt (samt aller hieraus abgeleiteten Haftungsvorwürfe) gutachterlich hinreichend ausgeschöpft, so dass „die seit vielen Jahren im Medizinrecht tätigen Parteivertreter in der Regel im selbständigen Beweisverfahren eine zügige gütliche streitvermeidende Lösung finden.“

 

Mithin sind die Bedenken einiger Stimmen, es käme infolge der Ausweitung der Zulässigkeit des selbständigen Arzthaftungsbeweisverfahrens häufig eher zu einer Verlängerung der Verfahrensdauer, nicht begründet.

 

Auch Riemer positioniert sich dahingehend, dass angesichts der Arbeitsbelastungen gerade der Arzthaftungskammern im Interesse einer Reduzierung der Verfahrenslaufzeiten sowie der Prozessökonomie wesentlich häufiger von § 485 ZPO Gebrauch gemacht werden sollte. 

 

Auf die von den Gegenstimmen derzeit ins Feld geführte Frage der Beweislast kommt es bei § 485 Abs. 2 ZPO nicht an. Zwar kann auch bei Fragen des Aufklärungsgesprächs zumindest eine gewisse Darlegungslast des Patienten bestehen, insbesondere weil der Patient (aber nur sofern zwischen den Parteien Streit darüber besteht, was alles zum Umfang der ordnungsgemäßen Aufklärung gehört) verpflichtet ist, vorzutragen, über welches Risiko er aus seiner Sicht noch hätte aufgeklärt werden müssen. Jedoch muss bei § 485 Abs. 2 ZPO immer berücksichtigt werden, dass es für die Frage der Zulässigkeit und des Rechtsschutzbedürfnisses eines selbständiges Beweisverfahren gerade keine Rolle spielen kann, ob das Beweisthema beweisbedürftig, schlüssig, erheblich oder gar mit Erfolgsaussichten versehen ist, so dass Beweislastfragen hier grds. irrelevant sind.

 

Die Gegner des uneingeschränkten Arzthaftungs-OH-Verfahrens vertreten auch die Ansicht, dass das Merkmal des § 485 Abs. 2 S. 2 ZPO („rechtliches Interesse“) im Medizinschadensrecht nicht weit, sondern ausnahmsweise eng auszulegen sei und das Merkmal bei der Frage der ärztlichen Aufklärung grds. keine Geltung beanspruche, weil die Beurteilung eines Aufklärungsfehlers im Wesentlichen von der Klärung der tatsächlichen im Einzelfall vorliegenden Umstände eines Aufklärungsgesprächs abhinge. Deshalb könne aufgrund einer gutachterlichen Klärung abstrakter Umstände (womit wohl die medizinischen Vorfragen der Risikoaufklärung und der Aufklärung über Behandlungsalternativen gemeint sind) gerade nicht mit einer Vermeidung des Rechtsstreits durch das OH-Verfahren gerechnet werden. Dies gelte sowohl für die Behandler- als auch für die Patientenseite. Bei dieser Beurteilung lassen die Gegenstimmen jedoch unberücksichtigt, dass zwar eine gerichtliche Klärung lediglich des Inhalts des mündlichen Aufklärungsgesprächs nicht Gegenstand eines selbständigen Beweisverfahrens sein kann, jedoch ein medizinisches Gutachten im selbständigen Beweisverfahren den Beteiligten sehr wohl eine medizinisch fundierte Beurteilung (zum einen) über die dokumentierte bzw. zu dokumentierende Aufklärung im Einzelfall, (zum anderen) aber auch zu Vorgängen ermöglicht, über die die Beteiligten regelmäßig jeweils aus eigenem subjektiven Erinnerungsvermögen Kenntnisse haben. Diese Kenntnisse mögen zwar dem Gericht im laufenden OH-Verfahren (noch) nicht , wohl aber schon den jeweils beteiligten Parteien bekannt sein. Aus diesem Grunde werden die (meist medizinrechtlich anwaltlich vertretenen) Parteien durch ein medizinisches Gutachten eines Sachverständigen im Hinblick auf den Umfang und die Erforderlichkeit der ärztlichen Aufklärung ausreichend in die Lage versetzt, zu überprüfen, ob in Anbetracht dessen eine unzureichende oder ausreichende ärztliche Aufklärung erfolgt ist. Die Parteien werden hierdurch auch in die Lage versetzt, ihre weiteren prozessualen und/oder gütlichen Schritte gerade im Hinblick auf die Frage einer sich anschließenden Hauptsache und weiterer Kosten abzuwägen, sowie - unter Berücksichtigung ihrer eigenen Erinnerung an das ärztliche Aufklärungsgespräch - ggf. von weiteren gerichtlichen Schritten abzusehen oder geltend gemachte Ansprüche der Patientenseite (ganz oder teilweise) zu erfüllen bzw. die Streitigkeit einer vergleichsweisen Einigung, Lösung bzw. Erledigung zuzuführen. 

 

Die gutachterlichen Feststellungen hinsichtlich des erforderlichen Inhalts der ärztlichen Aufklärung führen also gerade auch im OH-Verfahren dazu, dass in Anbetracht der dann möglichen (eigenen) Überprüfung des Aufklärungsgesprächs auch eine Erledigung des Rechtsstreits ermöglicht bzw. erleichtert werden kann, was ja gerade Sinn und Zweck des selbständigen Beweisverfahrens sein soll. Die aktuellen Gegenstimmen stellen bei ihrer Beurteilung ausschließlich auf die objektive Sicht des Richters, auf dessen Bedürfnis nach einem effektiven Verfahren und auf dessen richterliche Befugnis zur Aufklärung des streiterheblichen Arzthaftungssachverhalts ab, lassen jedoch unberücksichtigt, dass für die Frage der einvernehmlichen Erledigung des Rechtsstreits (und der damit verbundenen Entlastung der Gerichte) allein die jeweilige Sicht und Einschätzung (und die jeweiligen Kenntnisse über den Inhalt des Aufklärungsgesprächs) der Parteien maßgeblich ist.

 

Die Gegner des selbständigen Arzthaftungsbeweisverfahrens übersehen zudem, dass auch im Rahmen einer objektiven Beurteilung des Rechtsschutzbedürfnisses für ein selbständiges Beweisverfahren die subjektive Sicht der Patienten- und Antragstellerseite betrachtet werden darf (und muss) und diese Beurteilung gerade nicht überwiegend anhand des objektiven Kriteriums der Prozessökonomie (aus Sicht der Gerichte) erfolgen darf. Dass das Merkmal des Rechtsschutzbedürfnisses iSd § 485 Abs. 2 ZPO auch eine subjektive Komponente aufweist, zeigt schon dessen Wortlaut: „kann eine Partei die schriftliche Begutachtung ... beantragen, wenn sie ein rechtliches Interesse daran hat, dass ... festgestellt wird.“

 

Gerade dem Argument der Gegenstimmen, das „rechtliche Interesse“ des § 485 Abs. 2 ZPO würde im Arzthaftungsrecht (und insbesondere bei der Frage der ärztlichen Aufklärung) regelmäßig deshalb fehlen, weil für eine abschließende Klärung der Aufklärungsrüge meist weitere Beweisaufnahmen oder Ermittlungen erforderlich erscheinen, hat der BGH im Jahr 2013 bereits „einen Riegel vorgeschoben“. In Fortführung hat das OLG Frankfurt/M. im Jahr 2017 hierzu überzeugend entschieden, dass das erforderliche „rechtliche Interesse“ nach § 485 Abs. 2 ZPO auch im Arzthaftungsrecht nicht mit der Erwägung verneint werden dürfe, dass eine abschließende Klärung durch das einzuholende Sachverständigengutachten nicht möglich und weitere Aufklärungen erforderlich seien. Denn das Herbeiführen einer vollständigen Entscheidungsreife sei ohnehin und naturgemäß dem Hauptsacherechtsstreit vorbehalten.

 

Indessen wirkt sich die Feststellung von etwaigen ärztlichen Aufklärungsfehlern maßgeblich auf den Ausgang eines Haftungsprozesses aus und vermag daher die Entscheidung zur Klageerhebung zu beeinflussen. Dies gilt gerade im Hinblick auf Fragen der Risikoaufklärung.

 

Die Befürworter des OH-Verfahrens stellen heute daher zutreffend fest, dass nach der BGH-Rechtsprechung der Gesichtspunkt möglicher Prozessvermeidung höher zu bewerten sei als die Gefahr, dass durch das OH-Verfahren eine vollständige Klärung der medizinrechtlichen Streitfragen womöglich nicht zu erreichen sei. Es sei insofern in Kauf zu nehmen, dass das selbständige Beweisverfahren für den Arzthaftungsprozess zu einer gewissen Vorwegnahme der Hauptsache führe. Die früher vorherrschende, sehr zurückhaltende Anwendung des Beweisverfahrens im Arzthaftungsprozess wurde damit seit dem Jahr 2013 immer mehr aufgegeben und die entgegengesetzte Richtung wurde eingeschlagen. Der Sinn und Zweck des vorprozessualen Beweisverfahrens nach § 485 Abs. 2 ZPO, die Gerichte von Prozessen zu entlasten und die Parteien unter Vermeidung eines Rechtsstreits zu einer raschen und kostensparenden Einigung zu bringen, ist gerade auch in Arzthaftungssachen zu erreichen.

 

Die Gegenstimmen verkennen hier, dass schon seit vielen Jahren obergerichtlich geklärt ist, dass der Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens nicht einmal entgegensteht, dass die Behandlerseite eine gütliche Einigung von vornherein ablehnt. Zur Vermeidung eines Rechtsstreits kann ein selbständiges Beweisverfahren nämlich auch dann dienen, wenn die Antragsgegnerseite eine gütliche Streitbeilegung bereits bestimmt und scheinbar endgültig abgelehnt hat. Die Gegenstimmen übersehen, dass allein die mögliche (!) spätere Verwertbarkeit des Sachverständigengutachtens zur Frage der Aufklärungs- und/oder Behandlungsfehlerhaftigkeit für das „rechtliche Interesse“ iSd § 485 Abs. 2 ZPO genügt, da das verbleibende Risiko – wie in jedem selbständigen Beweisverfahren – allein die Patientenseite als Antragstellerpartei trägt.

 

III.) Die „Medizinische Rechtsfrage“ bzw. „Zwitterfrage“ als Beweisthema

 

Bereits im Jahr 2012 setzte sich Uzunovic wissenschaftlich und gut begründet mit der Frage nach der Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens zur Klärung der „medizinischen Notwendigkeit einer Heilbehandlung“ auseinander. Er prüft in seiner Dissertation genau und vertieft die Voraussetzungen des § 485 Abs. 2 ZPO und kommt zu dem wissenschaftlich gut begründeten Ergebnis, dass § 485 Abs. 2 ZPO weit auszulegen sei und auf seiner Grundlage auch medizinischen Rechtsfragen bzw. „Zwitterfragen“ zulässig seien.

 

Letztlich hat der BGH im Jahre 2013 dieses Ergebnis sodann bestätigt, ihm folgten danach eine Reihe von Obergerichte. Dabei hat der BGH die Zulässigkeit von Beweisfragen über rechtliche Wertungen (grobe Behandlungsfehler) explizit bejaht, auch wenn die festgestellten Tatsachen zum Behandlungsfehler noch einer juristischen Wertung durch den Tatrichter bedürfen. 

 

Walter weist insoweit zutreffend darauf hin, dass die in ständiger Rechtsprechung entwickelte Definition des groben Behandlungsfehlers zunächst vom Sachverständigen mit medizinischen Wertungen ausgefüllt werden müsse, weshalb es im Ergebnis um die Klärung tatsächlicher Umstände und nicht rechtlicher Beurteilungen ginge. Die Vereinbarkeit der medizinischen Wertungen mit den juristischen Maßstäben finde dagegen erst im Hauptsacheprozess statt. 

 

Gleiches hat daher auch für Beweisfragen, welche Aufklärungsfehler bzw. die ärztliche Aufklärung betreffen, zu gelten, bei denen es freilich zunächst erforderlich ist, die medizinischen Grundlagen der Aufklärungsverpflichtung und/oder des Aufklärungsadressaten abzuklären, bevor der Tatrichter eine juristische Bewertung dieser Aufklärungsstreitpunkte vornehmen kann. An der Zulässigkeit solcher Beweisfragen ändert das Erfordernis einer (zusätzlichen) rechtlichen Wertung nach Feststellung der medizinischen Tatsachen also nichts. 

 

Solche „Zwitterbeweisfragen“ (wie die nach dem groben Behandlungsfehler oder dem ärztlichen Aufklärungsfehler) sind im selbständigen Beweisverfahren mithin ebenfalls zulässig, gerade weil diese Fragen in medizinischer Hinsicht grundsätzlich einer gutachterlichen Bewertung als Maßstab bedürfen.

 

IV). Substantiierung der Beweisfragen

 

Das OLG Hamm sowie auch das OLG Rostock stellen durch ihre Rechtsanwendung klar, dass an die Formulierung der Beweisfragen keine zu hohen Anforderungen zu stellen seien, sie legen mithin eine weite Anwendung des § 487 ZPO zugrunde. Laut OLG Naumburg dürften auch im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens keine höheren Substanziierungsanforderungen an die Beweisthemen gestellt werden als in einem Klageverfahren selbst. Die Anforderungen an die Substanziierungspflicht in Arzthaftungsfragen sind indes denkbar gering mit der Tendenz zur Amtsermittlung. Der Sachverhalt, in den die Beweisfragen eingebettet sind, kann sich vor diesem Hintergrund auch aus dem Inhalt der Antragsschrift ergeben. 

Nach Walter genügt im Rahmen des § 485 Abs. 2 Nr. 2 ZPO grds. die Bezeichnung des eingetretenen Personenschadens, dessen Ursachen gutachterlich geklärt werden sollen. Die als Ursachen abzuklärenden Behandlungsfehlervorwürfen müssen seiner Ansicht nach auch nicht konkret bezeichnet werden, sondern lediglich in tatsächlicher - insbesondere zeitlicher und örtlicher - Hinsicht eine gewisse Eingrenzung erfahren. 

 

Unter Berücksichtigung dieser auch im selbstständigen Beweisverfahren geltenden geringen Substanziierungsanforderungen läuft auch das von der Gegenseite vorgebrachte Argument, außergerichtliche Verfahren wie das vor der Gutachterkommission der Ärztekammer seien für den Patienten aufgrund der dortigen amtswegigen Aufklärung des Sachverhalts vorteilhafter, ins Leere.

Vorsicht ist hier vor allem geboten, wenn der viel zitierte (und oft von den Gegenstimmen ohne Hinweis auf den der Entscheidung zugrunde liegenden extremen Einzelfall „gebrauchte“) Beschluss des BGH vom 10.11.2015 zur Begründung einer Zurückweisung von Beweisfragen „ins Spiel“ kommt. Der BGH hat hierin in einem krassen Einzelfall die in einem selbständigen Beweisverfahren gestellten, mindestens 121 Beweisfragen als unzulässige Ausforschung zurückgewiesen, weil die Antragsschrift dort – in der Tat – das geforderte minimale Maß an Substanziierung hinsichtlich der gem. § 487 Nr. 2 ZPO zu bezeichnenden Beweistatsachen nicht erreichte, die Antragstellerpartei dort in lediglich formelhafter und pauschaler Weise Tatsachenbehauptungen aufstellte, ohne diese zu dem zugrunde liegenden Sachverhalt in Beziehung zu setzen.

 

Unzulässig ist nach Rinke/Balser in diesem Sinne das selbständige Beweisverfahren erst dann, wenn ein völlig verworrener Sachverhalt vorgetragen wird, keinerlei Behandlungsunterlagen verfügbar sind und die Anknüpfungstatsachen für den Sachverständigen in der Luft hängen würden. Dies dürfte in Arzthaftungsbeweisverfahren jedoch nur selten der Fall sein.

 

V.) Auswirkung der Gegenansicht: Künstliche Aufspaltung des Arzthaftungsverfahrens

 

Die Gegner des (uneingeschränkten) arzthaftungsrechtlichen selbständigen Beweisverfahrens verkennen, dass auch die unterschiedliche Verjährung von Ansprüchen aus Behandlungsfehlerrüge und Aufklärungsfehlerrüge für die Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens auch hinsichtlich der Aufklärungsfehler streitet:

 

Geht es der Patientenseite neben der Feststellung eines Behandlungsfehlers – wie häufig – auch um die Feststellung eines Aufklärungsfehlers, hat die Patientenseite ein berechtigtes Interesse, sowohl den Behandlungs- als auch den Aufklärungsfehler gem. § 485 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO zum Beweisthema des selbständigen Beweisverfahrens zu machen und so die Verjährung sämtlicher aus einem einheitlichen Lebenssachverhalt resultierenden Schadensersatzansprüche nach § 204 Abs. 1 Nr. 7 BGB (d.h. sowohl hinsichtlich des gerügten Behandlungsfehlers als auch hinsichtlich des gerügten Aufklärungsfehlers) zu hemmen.

 

Würde man den Gegenstimmen folgen, so könnte durch ein selbständiges Beweisverfahren zwar eine Hemmung der Verjährung (§ 204 Abs. 1 Nr. 7 BGB) für Ansprüche aus Behandlungsfehlern, nicht jedoch für Ansprüche aus Aufklärungsfehlern erreicht werden. Hinsichtlich dieser Ansprüche müsste die Patientenseite auf einen (weiteren) Rechtsstreit im Hauptsacheverfahren verwiesen werden.

Zu berücksichtigen ist allerdings, dass, wie der BGH bereits mehrfach ausgesprochen hat, Sinn und Zweck eines selbständigen Beweisverfahrens die Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten und somit die Entlastung der Gerichte ist. 

 

Würde man bei Zusammenfallen von Behandlungs- und Aufklärungsfehlern zwei Rechtsstreitigkeiten bzw. Verfahren, nämlich das Hauptsacheverfahren und zudem ein selbständiges Beweisverfahren für möglich bzw. für erforderlich halten, so widerspräche dieses Ergebnis dem Sinn und Zweck der Regelung des § 485 Abs. 2 ZPO, sowie deren Grundsatz der Entlastung der Justiz.

 

Durch eine künstliche Aufspaltung werden Sinn und Zweck des selbständigen Beweisverfahrens ausgehöhlt; der Antragstellerseite wird die ihr gesetzlich eingeräumte Vorabklärung ihrer Beweisfragen (§ 485 Abs. 2 ZPO) zum Zweck der Streitvermeidung durch das gerichtliche „Herausschießen der Aufklärungsfehlerfragen“ faktisch genommen. Die Antragstellerseite hat aber aus § 485 ZPO „ein Recht“ auf ihr selbständiges Beweisverfahren.

 

VI.) Ausblick

 

Auch wenn heute immer noch einige Obergerichte das selbständige Beweisverfahren im Arzthaftungsrecht (jedenfalls im Hinblick auf die Fragen zur ärztlichen Aufklärung bzw. zur Frage der Vorlagepflicht der Behandlungsunterlagen seitens der Behandlerseite) für „nicht zweckmäßig“ erachten, so ist es dennoch zulässig. Denn Zweckmäßigkeit und Zulässigkeit sind in §§ 485 Abs. 2, 487 ZPO freilich strikt voneinander zu trennen. Ein von der Antragstellerpartei gut aufbereitetes selbständiges Beweisverfahren stellt in den allermeisten Medizinschadensfällen eine sehr gute Möglichkeit dar, um den Arzthaftungsfall einer streitvermeidenden Klärung und einer anschließenden gütlichen Regulierung oder Erledigung zuzuführen. Die derzeitigen beim BGH anhängigen Rechtsbeschwerdeverfahren zum Az. VI ZB 27/19 und zum Az. VI ZB 51/19 könnten hierzu endlich Klarheit bringen. Es wäre insofern wünschenswert, wenn der BGH hierbei mittels obiter dictum dann auch die strittige Rechtsfrage der gerichtlichen Beiziehung medizinischer Behandlungsunterlagen nach §§ 421 ff. ZPO und/oder § 142 ZPO klärt. Laut OLG Hamm ergibt sich die Vorlageverpflichtung im OH-Verfahren jedenfalls aus den Vorschriften der §§ 421 ff. ZPO, welche sich gerade mit dem Sinn und Zweck des OH-Verfahrens in Einklang bringen lassen. Das OH-Verfahren mache nur Sinn, wenn dem Sachverständigen auch die notwendigen Grundlagen (gemeint sind die Krankenunterlagen, über die die jeweilige Antragsgegnerpartei verfügt) vorliegen. Dem ist aus Sicht der Verfasser zu folgen.

 


Literaturverzeichnis:

1 vgl. OLG Hamm, Beschluss v. 9. 7. 2019 - 26 W 8/19; OLG Köln, Beschluss v. 16. 8. 2019 - 5 W 24/19; OLG Köln, Beschluss v. 15. 5. 2019 - 5 W 5/19; OLG Rostock, Beschluss v. 1. 10. 2018 - 5 W 32/18 = VersR 2019, 640 mit Anmerkung Graf VersR 2019, 596; OLG Nürnberg, Beschluss v. 14. 3. 2017 - 5 W 1043/16 = VersR 2017,969; OLG Hamburg, Beschluss v. 11. 10. 2016 - 1 W 68/16 = VersR 2017, 967; LG Köln, Beschluss v. 29. 1. 2019 - 25 OH 6/18.

2 vgl. Walter in Jorzig, Handbuch Arzthaftungsrecht, 1. Aufl. 2018, III., Rn. 14; Frahm/Walter, Arzthaftungsrecht, 6. Aufl. 2017, Rn. 258; Spickhoff, Medizinrecht, 3. Aufl. 2018, Kap. 80 Rn. 17 f.; vgl. auch Spickhoff NJW 2018, 1725 (1730); sowie vertieft Graf/Werner VersR 2017,913; Graf VersR 2019,596; und Graf/Johannes VersR 2019,1054; sowie Christoph Bomke VersR 2019,635.

3 Zu den Gegenstimmen vgl. ausführlich: VersR 2019, 596 (600). Zu nennen sind OLG Karlsruhe, Beschluss v. 3. 12. 2018 - 13 W 103/18 (vgl. hierzu kritisch: Anmerkung von Christoph Bomke in VersR 2019, 635) und OLG Stuttgart vom 30. 3. 2015 - 1 W 11/15. Das OLG Stuttgart stellte im Jahr 2015 fest, dass Fragen zur ärztlichen Aufklärung weder den Zustand einer Person noch die Ursache eines Personenschadens betreffen würden und sie deshalb grundsätzlich kein tauglicher Gegenstand eines selbständigen Beweisverfahrens sein könnten. Statt einer Begründung erfolgt lediglich ein Hinweis auf die ältere Entscheidung des OLG Oldenburg aus dem Jahr 2009 und auf die (bis heute ablehnende) Literaturstimme in Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht 4. Aufl. 2014 Rn. B 522. Hierzu argumentiert das OLG Karlsruhe, dass die Vorfrage zur ärztlichen Aufklärung eben nicht vergleichbar sei mit der seit dem Jahr 2013 zulässigen Vorfrage des „groben“ Behandlungsfehlers (BGH VersR 2014, 264), weil bei der Aufklärungsfrage noch weitere Beweiserhebungen durch Partei- bzw. Zeugenvernehmung nötig seien. Daher könne nicht davon ausgegangen werden, dass die gutachterliche Klärung einer solchen abstrakten Vorfrage die (aufklärungsbeweisbelastete) Behandlerseite dazu veranlassen könnte, sich vorgerichtlich gütlich zu einigen, bzw. in sonstiger Weise der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen könnte.

4 Graf VersR 2018, 393.

5 OLG Hamm, Beschluss v. 9. 7. 2019 - 26 W 8/19; OLG Nürnberg, Beschluss v. 14. 3. 2017 = VersR 2017, 969; vgl. OLG Frankfurt/M. Beschluss v. 6. 2. 2003 - 12 W 12/03 = IBRRS 2004, 0581 = openJur 2012, 23893; vgl. auch OLG Düsseldorf Beschluss v. 30. 1. 2014 - I-5 W 84/13 = IBRRS 2014, 1871; so auch LG Aachen, Beschluss v. 3. 8. 2018 - 11 OH 6/18; LG Gera v. 22. 4. 2016 - 2 OH 12/16; LG Freiburg v. 19. 5. 2016 - 1 OH 8/16; LG Mainz v. 4. 7. 2016 - 2 OH 25/15; LG Konstanz v. 27. 6. 2016 – B 6 OH 9/15; LG Frankfurt/M. v. 4. 3. 2016 - 2-04 OH 2/16 und v. 2. 2. 2016 - 2-04 OH 12/15; LG Baden-Baden v. 13. 10. 2015 - 4 OH 3/15 und v. 13. 1. 2016 - 3 OH 14/15.

6 Bergmann in Bergmann/Pauge/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht 2. Aufl. 2014 BGB § 630 g Rn. 2 f.; Huber in Musielak, ZPO 12. Aufl. 2018 § 492 Rn. 1; KG vom 10. 4. 2013 - 9 W 94/12 = NJW 2014, 85; Martis in Martis/Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht 4. Aufl. 2014 Rn. B 523 S. 705; Leipold in Stein/Jonas, ZPO 22. Aufl. 2008 § 492 Rn. 11; Rinke/Balser MedR 1999, 398, 400; Riemer MedR 2019, 481, 483.

7  Riemer MedR 2019, 481, 483. 

8 BGH v. 29. 11. 2016 - VI ZB 23/16 = openJur 2018, 1596; BGH v. 26. 6. 2007 - XI ZR 277/05 = BGHZ 173, 23 Tz. 20.

9 OLG Karlsruhe, Beschluss v. 2. 6. 2016 - 7 W 17/16.

10 Das OLG Köln stellt mit Beschluss v. 15. 5. 2019 - 5 W 3/19, BeckRS 2019, 10251 fest, dass es eine Verpflichtung des Gerichtes, die Behandlungsunterlagen von sich aus beizuziehen, weder im Hauptsacheverfahren noch im selbständigen Beweisverfahren gäbe, folglich gäbe es auch kein prozessuales Recht der Antragstellerpartei, dies einzufordern. Es gäbe nur die Regelung des § 142 ZPO, die aber nach dem eindeutigen Wortlaut wie auch nach der Auslegung, ausdrücklich in das Ermessen des Gerichtes gestellt sei. Auch das KG stellt in seinem Beschluss vom 10. 4. 2013 - 9 W 94/12 auf einen Mittelweg ab. Graf in VersR 2017, 913, 920f. stellt die einzelnen Streitpositionen im Überblick dar und gibt Hinweise für die Praxis.

11 OLG Hamm, Beschluss v. 9. 7. 2019 - 26 W 8/19.

12 Die zugelassene Beweisfrage lautet: „Weist die Behandlungsdokumentation der Antragsgegnerin aus medizinischer Sicht hinsichtlich des operativen Eingriffs vom 7. 12. 2015 und/oder der präoperativen Diagnostik Widersprüchlichkeiten und/oder Unvollständigkeiten auf?“.

13 BGH, Beschluss v. 24. 9. 2013, VI ZB 12/13, BGHZ 198, 237 ff., dem folgend: OLG Köln, Beschluss v. 27. 12. 2016 - 5 W 41/16, später dann noch bspw: OLG Hamm, Beschluss v. 9. 7. 2019 - 26 W 8/19; OLG Köln, Beschluss v. 16. 08. 2019 - 5 W 24/19; OLG Köln, Beschluss v. 15. 5. 2019 - 5 W 5/19; OLG Rostock, Beschluss v. 1. 10. 2018 - 5 W 32/18 = VersR 2019,640; OLG Nürnberg, Beschluss v. 14. 3. 2017 - 5 W 1043/16 = VersR 2017,969; OLG Hamburg, Beschluss v. 11. 10. 2016 - 1 W 68/16 = VersR 2017,967; LG Köln, Beschluss v. 29. 1. 2019 - 25 OH 6/18; zustimmend auch Walter MedR 2014, 302, 305.

14  Laumen MedR 2015, 12, 15.

15 Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Aufl. 2014, E. Prozessuale Grundsätze Rn. 8.

16  Laumen MedR 2015, 12, 15. 

17 BGH, Beschluss v. 24. 9. 2013 - VI ZB 12/13 = BGH NJW 2013, 3654 = VersR 2014, 264.

18 vgl. Fn. 17.

19 vgl. Fn. 1.

20 Spickhoff/Spickhoff, 3. Aufl. 2018, BGB § 630d Rn. 2.

21 Geiß/Greiner, aaO, C., Rn. 7.

22 Graf VersR 2019, 596.

23 Bomke VersR 2019, 635.

24 so etwa Laumen MedR 2015, 12, 17; Walter MedR 2014, 302, 306.

25  Riemer MedR 2019, 481, 483.

26 OLG Karlsruhe, Beschluss v. 5. 4. 2019 - 13 W 17/19 und Beschluss v. 8. 7. 2019 - 13 W 23/19 (beide noch nicht rechtskräftig).

27 Geiß/Greiner, aaO, C., Rn. 132.

28 BGH, Beschluss v. 4. 11. 1999 - VII ZB 19/99, NJW 2000, 960 und 16. 9. 2000 - III ZB 33/04 = NJW 2004, 3488; OLG Frankfurt a. M., Beschluss v. 25. 10. 2018 - 8 W 43/18; vgl. auch: Graf VersR 2018, 393, 397; sowie Graf VersR 2017, 913, 917.

29 so etwa Laumen MedR 2015, 12, 15.

30 Graf VersR 2019, 596, 598 f.; vgl. auch Laumen MedR 2015, 12, 15.

31 Graf VersR 2019, 596, 598.

32 Bomke VersR 2019, 637 f..

33 Graf VersR 2017, 913, 914 f.; Laumen MedR 2015, 12. 

34 OLG Karlsruhe, Beschluss v. 5. 4. 2019 - 13 W 17/19 und Beschluss v. 8. 7. 2019 - 13 W 23/19 (beide noch nicht rechtskräftig).

35 Graf/Johannes VersR 2019, 1054, 1060.

36Der BGH hat bereits ausgesprochen, dass ein grundsätzlicher Ausschluss des selbständigen Beweisverfahrens in Arzthaftungssachen nicht möglich ist (Senatsbeschluss vom 21. 1. 2003 - VI ZB 51/02 = MedR 2003, 405 ff.). Im Rahmen der Prüfung von Behandlungsfehlern hat der Senat weiter bereits ausgesprochen, dass ein rechtliches Interesse an einer vorprozessualen Klärung der haftungsrechtlichen maßgeblichen Gründe für einen Gesundheitsschaden durch einen Sachverständigen im selbständigen Beweisverfahren auch dann gegeben ist, wenn zwar die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann, jedoch für eine abschließende Klärung weitere Aufklärungen erforderlich erscheinen (Senatsbeschluss vom 24. 9. 2013 - VI ZR 12/13, BGHZ 198, 237, juris Rn. 18 = VersR 2014, 264).

37 OLG Frankfurt/M. Beschluss v. 11. 12. 2017 - 8 W 18/17 = juris Rn. 47 (unter Hinweis auf OLG Saarbrücken v. 5. 1. 2015 - 5 W 89/14 = MDR 2015, 793).

38 OLG Nürnberg, Beschluss v. 14. 03. 2017 - 5 W 1043/16 = VersR 2017,969, Volltext BeckRS 2017, 119276 unter Hinweis auf BGH v. 24. 9. 2013 - VI ZB 12/13.

39  so auch schon Rinke/Balser MedR 1999, 398.

40 vgl. hierzu auch die Darstellung der Entwicklung der Instanzrechtsprechung v. Laumen MedR 2015, 12 f.  

41 vgl. Fn. 1; Laumen MedR 2015, 12, 14.

42 OLG Köln v. 1. 8. 2016 - 5 W 18/16 = juris Rn. 3; OLG Saarbrücken, Beschluss v. 13. 5. 1999 - 1 W 125/99-16 = VersR 2000, 891; OLG Koblenz, Beschluss v. 4. 4. 2005 - 5 W 159/05 = MDR 2005, 888 = OLGR 2005, 639 = MedR 2005, 531 f.; OLG Oldenburg v. 6. 6. 1994 - 5 W 57/94 = MDR 1995, 746; Ullrich GesR 2008, 423.

43  vgl. Laumen MedR 2015, 12, 14 f.; Walter MedR 2014, 302, 305. 

44 Uzunovic, „Der Streit um die medizinische Notwendigkeit“ 2012 S. 108 ff.; vgl. auch Rinke/Balser MedR 1999, 398 ff. zur Zulässigkeit von Indikationsbewertungen bei zahnprothetischen Leistungen als zulässiger Gegenstand im selbständigen Beweisverfahren.

45 Zum Begriff „Zwitterfrage“ vgl. Graf VersR 2017, 913, 915.

46 BGH, Beschluss v. 24. 9. 2013 - VI ZB 12/13, BGHZ 198, 237 ff., dem bspw. folgend: OLG Köln, Beschluss v. 27. 12. 2016 - 5 W 41/16. 

47 BGHZ 198, 237.

48  Walter MedR 2014, 302, 305.

49 vgl. hierzu Graf VersR 2019, 596, 597; sowie Graf VersR 2017, 913.

50 OLG Hamm, Beschluss v. 9. 7. 2019 - 26 W 8/19; OLG Rostock, Beschluss v. 1. 10. 2018 - 5 W 32/18.

51 OLG Naumburg, Beschluss v. 14. 10. 2013 - 1 W 34/13 = MedR 2014, 903 f..

52 Walter MedR 2014, 302, 305 unter Bezugnahme auf OLG Karlsruhe, Beschluss v. 3. 11. 2010 - 7 W 25/10 = MedR 2012, 261 ff..

53  so etwa Laumen MedR 2015, 12, 16. 

54 BGH, Beschluss v. 10.11.2015 - 1 W 11/15 = NJW-RR 2016, 63 f..

55 Zweifelsohne handelt es sich hier um einen Extremfall, der kaum Raum für Verallgemeinerungen bietet. Die nach der Zählung des Beschwerdegerichts 374 (!) Beweisfragen bezeichneten keine Beweistatsachen iSv § 487 Nr. 2 ZPO, sondern zielten, wie das Beschwerdegericht zu Recht angenommen hat, auf eine umfassende Überprüfung der Krankengeschichte der Antragstellerpartei, durch die der maßgebliche Sachverhalt erst ermittelt werden soll, ab. Es dürfte klar sein, dass ein solches Vorgehen von §§ 485 Abs. 2, 487 ZPO nicht gedeckt ist. An der eher großzügigen Behandlung von Anträgen im selbständigen Beweisverfahren dürfte sich hierdurch aber nichts ändern, vgl. Graf VersR 2019, 596.

56  Rinke/Balser MedR 1999, 398, 400.

57  Graf/Johannes VersR 2019, 1054; auf die Verjährung als Vorteil des selbständigen Beweisverfahrens ebenfalls hinweisend Walter MedR 2014, 302, 306.

58 zum Problem ausführlich: Graf/Johannes VersR 2019, 1054 ff. anlässlich OLG Karlsruhe, Beschluss v. 24. 10. 2018 - 13 W 94/18 = VersR, 1106 f., sowie OLG Karlsruhe, Beschluss v. 24. 10. 2018 - 13 W 98/18.

59 BGH, Beschluss v. 24. 9. 2013 - VI ZB 12/13 = BGH NJW 2013, 3654 = VersR 2014, 264.

60 Graf/Johannes VersR 2019, 1054.

61 OLG Hamm, Beschluss v. 9. 7. 2019 - 26 W 8/19.

62 „Befindet sich die Urkunde nach der Behauptung des Beweisführers in den Händen des Gegners, so wird der Beweis durch den Antrag angetreten, dem Gegner die Vorlegung der Urkunde aufzugeben.“ (§ 421 ZPO).

63 So auch gewichtige Teile in Rechtsprechung und Literatur, vgl. Fn. 5 und Fn. 6.


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