Es gibt kaum aussagekräftige Daten oder Statistiken über die Zahl der Behandlungsfehler, die sich jährlich in Deutschland ereignen. Im Jahr 2018 stellten die gesetzlichen Krankenkassen knapp 3500 Behandlungsfehler fest. Eingegangen waren über 14.000 Beschwerden. Doch sehr wahrscheinlich bilden diese Zahlen die Realität nicht einmal annähernd ab. Denn die Dunkelziffer ist hoch. Studien gehen davon aus, dass auf jeden offiziellen Fall eines Behandlungsfehlers ungefähr 30 unentdeckte Fälle kommen.
Vermuten Sie, dass Sie oder einer Ihrer Angehörigen Opfer eines Behandlungsfehlers geworden sind? Zögern Sie nicht! Denn im Medizinrecht gilt eine kurze Verjährungsfrist von gerade einmal drei Jahren. Wir helfen ihnen gerne bei der Durchsetzung Ihrer Ansprüche. Seit der Behandlungsvertrag im Gesetz normiert ist, haben Sie als Patient noch bessere Möglichkeiten, den Behandler in Haftung zu nehmen.
Seit dem Jahr 2013 ist der Behandlungsvertrag als besondere Form des Dienstvertrages im bürgerlichen Gesetzbuch in den Paragrafen 630a ff. normiert. Mit der Normierung dieses besonderen Vertragstypes hat der Gesetzgeber die Rechte und Pflichten der Vertragsparteien (Behandler und Patient) festgelegt.
Ein Behandlungsvertrag bedarf grundsätzlich nicht der Schriftform. Er kommt in der Regel bereits dann zu Stande, wenn Patient und Behandler das Gespräch über den Grund des Arztbesuches beginnen. In manchen Fällen kann ein Vertragsschluss bereits zum Zeitpunkt der Terminabsprache vorliegen. Für den Abschluss eines Behandlungsvertrages genügt es, dass Patient und Behandler sich über den Vertragsschluss konkludent einig sind. Es muss nicht ausdrücklich darüber gesprochen werden.
Wie bei allen Formen des Dienstvertrages schuldet der behandelnde Arzt dem Patienten keineswegs den Behandlungserfolg. Denn die komplexen Vorgänge im menschlichen Körper machen es schier unmöglich den Organismus und dessen Reaktionen auf eine bestimmte Behandlung vollständig zu beherrschen. Deshalb ist der Behandler nicht zum Erfolg der Behandlung, sondern vielmehr dazu verpflichtet, die versprochene Behandlung dem anerkannten fachlichen Standard nach durchzuführen.
Neben dieser Hauptleistungspflicht gibt es eine Reihe an weiteren Pflichten, die dem Arzt dem Behandlungsvertrag nach obliegen. Parallel zu den Ansprüchen, die einem Patienten den Regeln über den Behandlungsvertrag nach zukommen, kann er den Behandler auch über die selbständigen deliktsrechtlichen Ansprüche in Haftung nehmen.
Neben der fachgerechten Behandlung ist der Behandler dazu verpflichtet, den Patienten vor und während der einzelnen Behandlungsschritte über die wesentlichen Umstände der Behandlung zu unterrichten (§630c BGB). Auch über die Kosten der Behandlung muss der Arzt den Patienten immer dann informieren, wenn die Krankenkasse diese erkennbar nicht übernimmt. Nur, wenn die Behandlung nicht aufgeschoben werden kann, und gewichtige therapeutische Gründe gegen Aufklärung des Patienten sprechen, besteht die Informationspflicht im Einzelfall nicht. Verletzt der Behandler seine Informations- und Aufklärungspflicht, stehen dem Patienten möglicherweise Ansprüche auf Schadensersatz zu.
Die Informationspflicht hängt stark mit der für die Behandlung notwendigen Einwilligung des Patienten zusammen. Denn nur nach einer umfassenden und korrekten Aufklärung des Patienten über den Hergang, die Risiken und Alternativen der Behandlung, kann dessen Einwilligung als wirksam angesehen werden. Ohne eine wirksame Einwilligung stellt die ärztliche Behandlung eine Körperverletzung im strafrechtlichen Sinne dar.
Eine weitere Pflicht des Behandlers ist die sogenannte Dokumentationspflicht. Sie verpflichtet den Arzt dazu, eine Patientenakte zu Dokumentationszwecken zu führen. Ob die Dokumentation schriftlich oder elektronisch erfolgt, ist dem Behandler selbst überlassen. Die Dokumentation über den Verlauf der Behandlung darf keine Lücken aufweisen. Der Arzt muss sämtliche wesentliche Maßnahmen in der Patientenakte festhalten, und die Akte über einen Zeitraum von 10 Jahren aufbewahren. Löschungen dürfen dabei nicht vorgenommen werden.
Verstößt der Behandler gegen die Dokumentations- oder Aufbewahrungspflicht, so wird vermutet, dass die vom Behandler behauptete medizinische Maßnahme nicht stattgefunden hat.
Die Regelungen über den Behandlungsvertrag treffen neben der Festlegung der Parteipflichten auch Aussagen über die Verteilung der Beweislast. Für den Patienten spielt die Regelung des § 630 h BGB eine nicht unbedeutende Rolle. Danach wird ein Behandlungsfehler immer dann vermutet, wenn sich ein Behandlungsrisiko verwirklicht hat, das für den Behandelnden voll beherrschbar war und zur Verletzung des Körpers oder der Gesundheit des Patienten geführt hat. Außerdem ist es der Behandler, der die Einwilligung des Patienten und dessen ordnungsgemäße Aufklärung beweisen muss. Die Beweispflicht des Behandlers ist vorteilhaft für den Patienten. Schließlich besitzt der Patient oft nicht die nötigen Kenntnisse über die medizinischen Fakten um den Beweis führen zu können.
Eine zentrale Bedeutung hat die Normierung des sogenannten groben Behandlungsfehlers (§ 630 Absatz 5 BGB). Ein grober Behandlungsfehler liegt vor, wenn der Arzt eindeutig gegen medizinische Behandlungsregeln oder gesicherte fachliche Erkenntnisse und Erfahrungen verstößt. Besteht ein solcher grober Behandlungsfehler, und ist dieser grundsätzlich dazu geeignet, eine Verletzung des Lebens, der Gesundheit oder des Körpers des Patienten herbeizuführen, so wird die Ursächlichkeit des Behandlungsfehlers vermutet, insofern der Patient eine Verletzung dieser Art erleidet. Kurz gesagt: In diesen Fällen braucht es keinen Nachweis der Kausalität zwischen dem Fehler des Behandlers und der eingetretenen Verletzung des Patienten. Es wird schlichtweg angenommen, dass das eine zum anderen geführt hat - es sei denn, der Behandler kann das Gegenteil beweisen.
Es war ein Routine-Eingriff, der gründlich schiefging: Der Schülerin F. aus H. soll nur der Blinddarm entfernt werden. Doch während der Operation verletzen die Ärzte die Beinschlagader, das Mädchen bekommt eine Blutvergiftung, muss in ein künstliches Koma versetzt werden. Das rechte Bein kann nicht mehr gerettet werden - Amputation. Die Richter sprechen ihr 200.000,00 Euro Schmerzensgeld zu.
Im Februar 2008 will sich eine 78-Jährige in M. (Bayern) am Bein operiert lassen. Doch offenbar verwechseln die Ärzte sie mit einer anderen Patientin: Statt das Bein zu behandeln, entfernen sie ein Stück Darm und legen der Rentnerin einen künstlichen Darmausgang. Der Eingriff kann nicht rückgängig gemacht werden.
In R. bei Hamburg leidet der vierjährige F. nach einer Operation an Fieber, verweigert aber Zäpfchen. Eine Ärztin verabreicht ihm daraufhin 500 Milliliter einer Zuckerlösung - das Todesurteil für das Kind. Das Gehirn schwillt extrem an, die Organe versagen. Mehrere Ärzte versuchen die ganze Nacht hindurch vergeblich, das Leben des Jungen zu retten. Später im Prozess sagt der Strafrichter, die Ärztin "muss eigentlich überzeugt davon sein sein, das Richtige lege artis zu tun. Es war hier kein Momentversagen, es war ein ganz kapitaler ärztlicher Kunstfehler. Und es war ein unmögliches Verhalten, die Glukosegabe den anderen Ärzten gegenüber zu verschweigen." Das Urteil: 22 Monate Gefängnis ohne Bewährung, 10-jähriges Berufsverbot für die Ärztin.
November 2016, ANWALTGRAF, Ihre Patientenanwälte für Freiburg, Karlsruhe und Umgebung
RA Michael Graf, Fachanwalt für Medizinrecht und Versicherungsrecht
in Zusammenarbeit mit
Frau stud. jur. Milena Kaluza